Von Christian Schmacht

Seit Monaten ist bei mir das Business mies. Ich war zum Arbeiten in Zürich und hatte mir vorher ausgemalt, dass dort alle superreich sind und nur auf mich gewartet haben. Doch stattdessen schaffte ich es mit Ach und Krach, die Laufhausmiete zu bezahlen. Zum Schluss erließen mir die Betreiber noch ein paar Hundert Franken, da ich mich sonst bei ihnen verschuldet hätte! Dann war ich in Baden-Württemberg, wo ich zwar ein wenig Geld verdienen konnte, aber dafür mit dem familiären Umfeld des Minibordells konfrontiert war. Die Familie ist die kleinste Zelle des Faschismus und ein familiärer Puff ist da keine Ausnahme. Mein neuer Papa, der Bordellbetreiber, war nämlich ein strammer Deutscher, inklusive weißer Privilegien, Verschwörungstheorien, Rassismus und patriarchalem Verhalten gegenüber uns Arbeiter*innen. Während meines Aufenthalts wohnte ich in den jeweiligen Läden, das ist normal und sehr üblich. Auch wenn besserwisserische Menschen gerne sagen, die Übernachtung im Puff sei verboten – die Realität hält sich nicht an Gesetze. Zurück zu Hause hatte ich weiter Pech, im Laufhaus lief nichts und ich machte Verluste, da mensch die Tagesmiete und die Steuern immer vorab bezahlen muss und wenn mensch sie nicht reinbekommt, bleibt mensch auf den Kosten sitzen. 

©Tine Fetz

Ich wusste natürlich schon vor einigen Wochen, dass mit dem Ausbreiten einer Pandemie die Sexarbeit sehr schwierig werden würde, und strengte mich an, möglichst viele Escortanzeigen zu schalten. Aber auch hier hatte ich Pech – wie oft ich Absagen bekommen habe oder sogar beim Treffen selbst noch reingelegt wurde, sodass ich ohne Job und ohne Geld dastand, weiß ich gar nicht mehr. Verhext! Und seit einigen Tagen kommen nicht mal mehr WhatsApp-Nachrichten von den eifrigsten Durst-Kunden rein. Ich habe beobachtet, wie das Hurenstigma in mir selbst, also die Scham darüber, Sexarbeit zu machen, aufloderte, als ich mit meiner Arbeit kein Geld mehr verdienen konnte. Ich fühlte mich so, wie viele andere mich vermutlich sehen: tief gesunken, dreckig, moralisch verkommen. Kein Teil der Gesellschaft, sondern jemand, der ihr schadet. Nur das Geld hatte mir das Gefühl gegeben, doch irgendwie dazu zu gehören. 

Na ja, so begann für mich die Corona-Zeit. Die Geldpolster aufgebraucht, das Selbstwertgefühl down. Unter diesen Vorzeichen blicke ich auf die aktuellen Entwicklungen. Stuttgart schloss als erste Stadt die Bordelle, während Restaurants, Kneipen und Tinder noch offen blieben. Ein Betreiber beschwerte sich über das plötzliche Vorgehen des Ordnungsamts, das keine Planungszeit gelassen habe. Die meisten migrantischen Sexarbeiter*innen haben nämlich keine Wohnungen in Deutschland, da es sich für sie nicht lohnt. Sie zahlen Miete im Laufhaus und halten sich auch hauptsächlich dort auf, ihren Lebensmittelpunkt haben sie in ihren Herkunftsländern. 

So schilderte der Betreiber, dass die Arbeiter*innen zwar derzeit mietfrei bei ihm wohnen könnten, doch die Behörde dies nicht dulden würde und dass die Zeit zu knapp gewesen sei, um Reisen oder alternative Unterkünfte für die Betroffenen zu organisieren. Das fehlende Einkommen, für das es in der Sexarbeit keinerlei Absicherung gibt, ist ein weiteres Problem, das mit der Dauer der Abschottungsmaßnahmen steigen wird.
Diese missliche Lage der Sexarbeiter*innen hielt die Sozialdemokratin Leni Breymaier nicht davon ab, auf Twitter zu frohlocken: „Stuttgart verbietet #Prostitution wegen #Corona. Geht doch. Man(n) kann ja schon mal üben.“ Zynisch spricht sie deutlich aus, was wir schon lange wussten. Sonst als Verfechterin der Freierkriminalisierung unterwegs ist sie einem Komplettverbot der Sexarbeit ganz und gar nicht abgeneigt. Die finanzielle Sicherheit und psychische Gesundheit der Sexarbeiter*innen sind ihr egal, Hauptsache mit einem Witz über „Man(n)“ auf Twitter gepunktet. 

Der Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen versucht, Sexarbeiter*innen in Deutschland zu unterstützen und empfiehlt, Dienstausfälle als Freiberufliche*r geltend zu machen sowie auf Onlinesexwork umzusatteln. Gut gemeint. Können die Dienstausfälle wirklich geltend gemacht werden, wenn mensch nämlich keine wegen Corona stornierten Aufträge vorweisen kann, sondern lediglich in einer Prostitutionsstätte, wie einer Zimmervermietung bspw. arbeitet, die geschlossen ist? 

Dass wir Sexarbeiter*innen flächendeckend vor Ausfällen und Armut geschützt werden, das glaube ich, wenn ich die Kontoauszüge vor Augen habe. Und selbst dies beträfe lediglich die legalisiert Arbeitenden unter uns. Denn ohne Hurenpass, ohne Ausweis, ohne Meldeadresse, ohne dies und ohne jenes gibt es in Deutschland keine Rechte und schon gar keine verlässliche Struktur in der Not. (Die gibt’s ja nicht einmal für Menschen, die all das vorweisen können, sonst wären viele von uns ja gar nicht erst in der Sexarbeit tätig, aber lassen wir das.)

Und das Onlinebusiness ist eine Kunst für sich, das wissen alle, die darin ihr täglich Brot verdienen. Mensch muss viele Stunden und Tage harter Arbeit reinstecken, bevor mensch auch nur einen Cent dafür bekommt und eine Garantie für den Erfolg mit OnlyFans, ManyVids oder Chaturbate gibt es nicht. 

Die Pandemie stellt für viele Menschen eine Verschlimmerung von bereits vorher katastrophalen Zuständen dar. Für Sexarbeiter*innen und alle, die von der Hand in den Mund leben. Für Pflegenehmer*innen und Menschen, die behindert werden. Für Menschen in Knästen und Lagern. Die kollektive Betroffenheit, die ausnahmsweise auch mal die Mehrheitsgesellschaft heimsucht, hat eine Art Aktionismus hervorgebracht. Die einen schreien vom Balkon die Passant*innen an, dass alle zu Hause bleiben sollen (so geschehen in New York), die anderen reden zum ersten Mal mit ihren Nachbar*innen, denen sie Hilfe beim Einkaufen anbieten.
Der Aktionismus als Reaktion auf ein Gefühl von Ohnmacht paart sich mit einem erstaunlichen Staatsvertrauen. Ich glaube natürlich nicht, dass Virolog*innen und Politiker*innen „uns“ anlügen, weil sie im Hinterzimmer irgendeine Corona-Verschwörung planen. Ich glaube allerdings auch nicht, dass die EU-Außengrenzen und die Schengenländer abgeriegelt werden sollten oder müssen. Ich glaube nicht, dass Menschen, die in Asylunterkünften und Gefängnissen von der Gesellschaft isoliert sind, weiter abgeschottet werden dürfen. Ich glaube nicht, dass wir alle weiter brav unsere Miete zahlen sollten. Oder staatliche Auflagen über unsere Bewegungsfreiheit, wie bspw. eine Ausgangssperre, hinnehmen dürfen.  

Die Erklärung eines Bordellbetreibers, die bei ihm tätigen Sexarbeiter*innen mietfrei wohnen zu lassen, ist erstaunlich. Denn die Miete im Laufhaus kostet in Deutschland zwischen 60 und 200 Euro pro Tag! Und wie schon zu unviralen Zeiten auch lautet meine Aufforderung an alle, dass ihr euch mal überlegt, wer eigentlich eure Bordellbetreiber*innen sind und was ihr euch von ihnen nicht länger gefallen lassen wollt.