Doppelte Viren
Von
Text: Sascha Rijkeboer
Illustration: Tine Fez
So begann es: Corona da, Lockdown da, ich auch da (Schweiz), meine Freundin aber dort (Schweden). Also eile ich so schnell wie nur möglich nach Schweden, in die Arme of my Kärleksvän (Liebesfreund*in) – wie es das lesbische Stereotyp halt verlangt. Und da verbringen wir erst mal drei oder vier wunderbare Tage. Der erste fühlt sich immer unwirklich an. Diese Person von meinem Handybildschirm ist nun wirklich real und ich kann sie anfassen. Da ist ein Geruch und da ist eine Falte, wenn sie die Nase rümpft, und da ist ein Körper, der sich in meinen hineinförmelt und aus dem ich mich dann wieder herausschäle.
Dann habe ich plötzlich Fieber. „Oh-oh“, sagt Kärleksvän. „Einfach zu Hause bleiben“, sagt Schweden. Ein bisschen Husten huste ich. Ja, den könnte man als trocken beschreiben, könnte aber auch ein Raucherhusten sein. Und nein, Geschmacks- und Geruchssinn immer noch da. Zwei Tage vergehen, immer noch Fieber und jetzt schmerzt auch meine Vulva. Genauer: alles rund ums Hymen. Es brennt, wenn ich pinkle. Google sagt: Schmerzen beim Urinieren in Kombination mit Fieber können ein Hinweis auf eine aufsteigende Harnröhreninfektion sein. Die dann die Nierenbecken beschädigen könnte. Kärleksvän legt ihre Stirn in Falten und die kühle Hand auf meine Stirn. Und sagt: „Wir gehen ins Krankenhaus.“ Die Person an der Rezeption trägt einen Schlüsselanhänger in Pride-Farben über der hellblauen Krankenhausuniform, ihr Englisch ist nicht sehr gut.
„So you have symptoms of COVID-19 but you need to see a gynecologist?”, fragt sie.
„Yes. I think that would make sense“, sage ich.
„Does it smell bad? … I mean down there?“
„Like … I don’t know. Yes, a little I would say?“ Kärleksvän blickt mich etwas beschämt, aber liebevoll an. „I mean it was not like particularly smelling great ever? But now maybe a bit less?“ Ich denke: Je ehrlicher ich bin, desto besser kann mir geholfen werden.
Ich treffe die Gynäkologin. Sie freut sich nicht, dass ich da bin. Sie sagt: „Alle haben jetzt Corona. Das ist sicher auch Corona.“ Ihre Assistentin trägt ebenfalls einen Schlüsselanhänger in Pride-Farben über dem blauen Hemd. „What does that ribbon stand for?“, will ich wissen. „It’s a certificate this hospital got, that it’s especially LGBTIQ-friendly“, antwortet sie. „Ah. Nice! I mean. That you have that. I haven’t seen such a thing in Switzerland.“ Es ist nicht mehr als ein kleines bescheuertes instrumentalisiertes Stück Stoff. Aber irgendwie lässt es mich gut fühlen. In der Schweiz kann ich mir so was nicht vorstellen. Zu Hause wurde ich einmal im Spital auf ein Einzelzimmer versetzt, weil sich das medizinische Personal über meine Pronomenwünsche (keine oder they) derart geärgert hat, dass sie nicht wollten, dass ich andere Patient*innen auch damit belästige …
Die Gynäkologin untersucht mich. Ja, es ist ein bisschen rot. Sie freut sich, dass ich meine Vulva so genau beschreiben kann (z. B. wo das Hymen ist) – ist ja immer noch keine Selbstverständlichkeit. Und dass ich den Unterschied zwischen Vulva und Vagina kenne. Ich bin stolz auf meine feministische Basisbildung. Das Herpes sieht die Gynäkologin nicht. Sie sagt: „Das ist bestimmt Corona, bleiben Sie zu Hause!“ Ich möchte mich testen lassen, aber zu dem Zeitpunkt werden in Schweden nur eingelieferte Intensivfälle getestet. Nicht einmal das medizinische Personal kann sich testen lassen. Am nächsten Tag ist das Fieber weg, aber die Schmerzen sind stärker. Ich betrachte meine Vulva im Spiegel. Oje, da sind überall kleine rote Bläschen. Und alles ist feuerrot. Das Pinkeln fühlt sich an, als würde mir jemand Ethanol in eine offene Wunde gießen.
Ich denke an meine Exfreundin: Beim ersten Ausbruch von Herpes hatte sie damals angeblich auch Fieber. Nur, wie habe ich mich überhaupt anstecken können? Wir haben doch immer so gut aufgepasst?
Mein Gynäkologe in der Schweiz, dem ich Bilder von meiner Vulva schicke, bestätigt meinen Verdacht. Und stellt mir ein Rezept aus. Mit dem Hinweis, ich solle diese Tabletten so schnell wie möglich einnehmen – am besten heute noch! Kärleksvän versucht, das Medikament in einer Apotheke zu bekommen. Erfolglos. Vier Apotheken und etliche Überzeugungsversuche später wissen wir: Das Medikament wird nur gegen ein Originalrezept ausgehändigt. Als ich auf den Notfall zurückkehre, werde ich wieder hinausausgeworfen: In meiner Akte stehe, dass ich Corona hätte. Immerhin stellte die Gynäkologin mir aber noch ein Rezept aus.
Circa 10 bis 15 Prozent der Menschen in Deutschland sind Träger*innen des Herpes-Virus 2 (HSV-1 ist das mit den Bläschen an der Lippe), bei ca. 30 Prozent davon bricht es dann auch wirklich aus. Und ja: Es ist eklig, schmerzhafte Bläschen an den Genitalien zu haben. Und ja, man fühlt sich auch ein bisschen bescheuert, sich damit angesteckt zu haben. Zumal der Diskurs zu sexuell übertragbaren Krankheit hierzulande nicht unbekannt ist. Aber es ist auch ein viel zu tabuisiertes Thema: Meine Exfreundin, bei der ich mich höchstwahrscheinlich angesteckt habe, teilte es mir damals erst nach einem Jahr Beziehung mit – als sie einen Ausbruch hatte und wir nicht miteinander schlafen konnten. Sie fürchtete sich davor, dass ich sie abstoßend finden könnte und nie wieder mit ihr schlafen würde. Zuerst habe ich mich auch geschämt. Dann fand ich es irgendwie auch gut, einfach so zu sagen: Ich habe kein Fieber mehr, aber Herpes Genitales. Aus Quarantäne & Chill mit Kärleksvän wird vorerst wirklich nur Chill.
An alle Träger*innen da draußen: The pain is real! Aber wir sollten uns nicht dafür schämen!