Von Sibel Schick

Immer mehr Menschen sprechen in den letzten Jahren gerade in queerfeministischen Kontexten von „Homofeindlichkeit“ und „Transfeindlichkeit“ statt von „Homophobie“ oder „Transphobie“. Das hat unterschiedliche Gründe.
 Eine Phobie ist eine Angststörung: Eine Person hat Angst vor einer bestimmten Situation, einem Tier oder einem Gegenstand. Der Kontakt mit dieser Situation, diesem Gegenstand oder Tier löst Panik oder Angst aus, die lange nachklingen kann. Eine weitverbreitete Phobie ist z. B. die Klaustrophobie: die Angst vor engen Räumen. Eine Schulfreundin von mir hat Arachnophobie, also Angst vor Spinnen. Einmal trug ich in ihrer Gegenwart einen Ring in Spinnenform, selbst da zuckte sie zusammen.

Bei Homofeindlichkeit oder Transfeindlichkeit handelt es sich hingegen nicht um eine Krankheit, sondern um Verachtung, Gewalt und strukturelle Diskriminierung. Die Annahme, dass trans- oder homofeindliche Menschen unter einer Angststörung leiden und sich fürchten, sobald sie mit homosexuellen und/oder trans Menschen in Kontakt kommen, macht die Täter*innen zu Opfern. Im Gegensatz zu meiner Schulfreundin, die wirklich panische Angst vor Spinnen hat und glaubt, sterben zu müssen, wenn sie eine sieht, können jene, die trans und homosexuelle Menschen hassen, sehr wohl etwas für ihre Denkweisen. Die Verachtung und die daraus resultierende Gewalt zu den Folgen einer Krankheit zu erklären, verharmlost den Hass, dem betroffene Personen ausgesetzt werden. Außerdem individualisiert diese Verharmlosung ein strukturelles Problem und macht das System, das sich dahinter verbirgt, unsichtbar.

Zu diesem System gehört z.B., dass trans Personen durch die Gesetzgebung aktiv dis- kriminiert werden. Ihre Identität wird z. B. als „Diagnose“ pathologisiert, das heißt, sie wird zu einer Störung erklärt, die beseitigt werden soll. Für ihre Transition müssen Betroffene die intimsten Fragen von fremden Gutachter*innen beantworten. So findet ein Eingriff in ihren privaten Lebensbereich statt. Außerdem werden sie gezwungen, ihr Geschlecht beweisen zu müssen. Das heißt: Am Ende entscheiden die Gutachter*innen, welches Geschlecht die Person hat. Auch im Berufsleben werden trans Menschen benachteiligt. Studien belegen, dass sie im Schnitt schlechtere Noten haben, öfter von Arbeitslosigkeit betroffen sind, geringere Aufstiegschancen haben, öfter in unsicheren Wohnverhältnissen leben und dadurch auch einem höheren Risiko von Wohnungslosigkeit ausgesetzt sind.

Die implizite Annahme, dass es sich bei Trans- und Homofeindlichkeit um eine Krankheit handele, nimmt der Person die Verantwortung für ihr eigenes Verhalten und ihre Denkweisen. Menschen können nichts dafür, wenn sie krank sind. Sie können aber etwas dafür, wenn sie Menschen diskriminieren. Menschen, die bestimmte Gruppen hassen, krank zu nennen, stigmatisiert zudem tatsächlich kranke Menschen. Es entsteht der Eindruck, dass eine Krankheit Menschen zu Personen macht, die gegenüber bestimmten Gruppen gewalttätig werden können. Chronisch kranke Menschen werden gesellschaftlich marginalisiert und sind etwa besonders oft von Armut betroffen. Deshalb müssen wir das Problem beim Namen nennen: Es heißt nicht Homo- oder Transphobie, sondern Homo- und Transfeindlichkeit.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 02/20.