Meine frühpubertären Zukunftspläne träumte ich Anfang der 1970er- Jahre im deutschen Kleinstadtmief der Niederrheinischen Tiefebene. Dem grauen Alltagstrott zwischen Schule, ersten Heartbreaks und piefigem Elternhaus entfloh ich – wie wir alle in diesem Alter – mithilfe erster Alk- & Dope-Experimente sowie meines Kofferradios. Mein geografischer Vorteil war die Nähe zum Nachbarstaat Niederlande.

Now & Then, Missy Magazine 03/20
© Privat Martina Weith

Ich empfing die holländischen Sender! Während hierzulande ausnahmslos Schlager und Volksmusik erschallten, lief auf Hilversum 3 und Radio Veronika alles, was angesagt war. Und das war Rock! T.Rex, The Sweet, Slade, Alice Cooper … Eine energetische Wundertüte voller Glitzer und Make-up – und niemand präsentierte dies reizvoller und überzeugender als David Bowie. Ich war hin und weg, färbte mir die Haare orange und ließ mir seinen Blitz in den Arm stechen. Während die meisten Teenie-Idole schnell in der Bedeutungslosigkeit verschwanden, schaffte es Mr. Bowie mühelos, in meinem Fokus zu bleiben. Er wandelte sich und seine Musik fast schneller als ich mich in meiner Adoleszenz: vom Ziggy- Glam über weißen Soul zum elektronischen Thin White Duke. Und ich lernte: In der Musik ist alles möglich! Hätten wir sonst je eine Punkband ohne Gitarre gegründet? Mein erstes Bowie-Konzert war eine Offenbarung: die „Heroes“-Tour 1978! Während allenthalben nebelverhangener Bombastrock oder aggressives Schmuddelchaos zelebriert wurde, erschien der Meister in schneeweißem Outfit auf einer von Neon überfluteten Bühne. Ich saß paralysiert in der bestuhlten (!) Halle, starrte in diesen „Kühlschrank“ und applaudierte dem vorherigen Stück noch hinterher, wenn der nächste Song schon halb durch war.

Missy Magazine 03/20, Now& Then,
© Shutterstock David Bowie

Bowie überwand weiterhin Grenzen, brillierte auf Kinoleinwänden und Broadwaybühnen, schnupperte in jeden neuen musikalischen Trend (mindestens die Hälfte davon initiierte er selbst) und kannte keine Berührungsängste. Jedem seiner Alben und Bootlegs fieberte ich entgegen, immer wieder erstaunt oder gar irritiert, doch stets begeistert. Diese Faszination überlebte all meine Lebensabschnitte. Bowies Ableben erwischte mich eiskalt. Zurück von einem computerfreien Silvesterurlaub schaltete ich meinen Rechner ein und las als Erstes die Todesnachricht. Wieder war ich paralysiert, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, außer: „Nein, nein, nein!!!!“ Ich verlor kein Idol, ich verlor einen Freund, der mich durchs Leben begleitet hatte, der für jede meiner Stimmungen die richtige Antwort hatte.

Martina Weith gründete 1979 gemeinsam mit drei anderen Düsseldorfer Medizinstudentinnen die „einfache, aber grobe“ Punkband Östro 430, die bis zur ihrer Auflösung im Mai 1984 eine EP und zwei Alben veröffentlichte. Bei Tapete Records erscheinen nun erstmals alle Studioaufnahmen auf „Keine Krise kann mich schocken“.

David Bowie veröffentlichte über zwei Dutzend Soloalben und spielte in Kultfilmen wie „Der Mann, der vom Himmel fiel“. Als Popikone bleibt Bowie für seine Wandelbarkeit, nicht zuletzt im exzentrischen Spiel mit Geschlechterrollen, legendär.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 03/20.