Hamsternde Hausfrau
Kolumnist*in:
Was haben das Wort „Hamster“ und das Wort „Hausfrau“ gemeinsam? Kommt ihr drauf? Ich glaube nicht! – Es sind beides deutsche Worte, die ins Englisch übergangen sind. Das Gegenteil von Denglisch, also. Wie nennt man das dann eigentlich? Eutsch vielleicht?
Hamster ist im Englischen allerdings nur als Substantiv angekommen – als Haustier. Für das Verb, hamstern, muss man auf Englisch: panic buy oder vielleicht hoard sagen. Und das Wort Hausfrau hingegen, wenn man das auf Englisch hört, bedeutet automatisch eine gute Hausfrau: eine, die gerne und gut backt, eine, die nicht nur eine saubere Wohnung hat, sondern eine schöne, gemütliche. Eine, die die Socken ihres Mannes repariert.
Als die Bundeskanzlerin Angela Merkel mit uns sprach, am Anfang der Coronakrise – und wenn ich sage “uns” meine ich natürlich deutschen Nation, zu der ich plötzlich doch gehöre, obwohl die meistern Deutschen es so nicht sehen – war das, dachte ich, eine ganz nette Rede mit wenig Informationen drin – das Wort Mietenstopp, zum Beispiel, kam nicht vor. Aber Merkel fand Zeit in dieser wichtige Rede, um uns vor Hamsterkäufen zu warnen:
„Hamstern, als werde es nie wieder etwas geben, ist sinnlos und letztlich vollkommen unsolidarisch“, sagte sie.
Ich persönlich finde es interessant, dass es unsolidarisch sein soll, zu viel von etwas auf Vorrat zu haben – aber zu wissen, dass es Menschen in Deutschland gibt, die zu wenig haben, nicht? Damals, hätte Merkel nicht nur vage Ratschläge geben können, sondern konkrete Infos – was würde passieren, wenn eine Alleinerziehende nicht mehr einkaufen gehen kann, weil sie sich isolieren soll? Wer würde ihr die wöchentliche Einkäufe vorbei bringen? Die AOK? Das Jugendamt? Das Sozialamt? Was würde passieren, wenn Menschen in prekären Lebenssituationen plötzlich so viel Geld verlieren, dass sie nicht mal mehr Essen bezahlen können? Würde es Essenspakete geben? Was ist mit den Kindern aus ärmeren Haushalten, die normalerweise Mittagessen in der Schule kriegen? Würden sie Lieferessen vom Jugendamt kriegen? Konkrete Versprechungen hätte es hier geben sollen. Aber ich glaube ehrlich gesagt, dass Merkel nicht weiß, dass es Menschen in diesem Land gibt, sogar Deutsche, die es manchmal – auch ohne Corona – nicht schaffen, sich und ihre Kinder ordentlich zu ernähren. Deswegen war Hamstern aus ihrer Sicht “unsolidarisch” denn in ihren Augen gibt es und gab es immer genug zu Essen in diesem wohlhabenden Land.

Ich persönlich finde es schwierig zu erkennen, wo Hamsterkäufe anfangen und normales auf Vorrat Einkaufen aufhört. Diese reichen Menschen in ihren Villen in Zehlendorf, mit Weinkellern und dunklen Schränken und so, wenn die dreißig Flaschen teuren Rotwein bestellen, dann ist das bestimmt kein Hamstern. Sondern einfach Rotwein bestellen. Aber die Alleinerziehende, die panisch Nudeln auf dem Kinderwagen nach Hause schiebt, von denen sie weiß, dass sie sie brauchen wird, wenn die Kinder krank werden, egal ob es Corona wäre oder etwas anderes, die hamstert. Die Panik, die Existenzangst macht Einkaufen für die Zukunft zum Hamsterkauf, und die Arroganz, Überlegenheit, ja, Besonnenheit, der deutschen Bildungsburger bedeutet, dass sie nie wie Hamster einkaufen, egal wie viel sie in ihre Jeeps nach Hause fahren.
Ich finde auch die Hamsterkritik deswegen unsolidarisch, weil es große Familien total unsichtbar macht. Meine persönliche Familie ist superklein – ich gehöre dazu, mein Ex-Partner, mit dem ich in einer Patchwork-WG lebe, unser kleiner Sohn, mein Teenager. Am Wochenende kommt das Kind meines Ex-Freundes uns besuchen. Eine große Familie sieht echt anders aus. Aber wir trinken vier Liter Mich in zwei Tagen. Wir haben uns wegen dieser Milch nie wirklich isolieren können, weil wir eigentlich jeden zweiten oder spätestens dritten Tag zum Supermarkt gehen mussten. Wie geht’s dann den Großfamilien erst? Sie können kaum hamstern – das was man missbilligend als hamstern abstempelt, ist einfach mehr Einkaufen, weil niemand mehr tagsüber aus dem Haus geht.
„Diese Hamsterkäufer!“, schreibt mir eine Freundin per Facebook. „Sie sollen gezwungen werden, ihre Nudeln mit Klopapier zu fressen!“
Mir scheint aber, dass es mehr Hamsterkäuferinnen gibt als Hamsterkäufer. Oder? Das ist es, was mich auch so an diese Kritik nervt! Die Hausfrauen kaufen das Toilettenpapier ein, und werden deswegen für dumm erklärt. Während die Männer drauf kacken und sie für ihre Panik auslachen.
Überhaupt tut man bei der Diskussion um Hamsterkäufe so, als ob niemand in Deutschland alleinerziehend ist, als ob niemand in einer Großfamilie lebt, als ob es keine häusliche Gewalt gibt. Vielleicht ist die hamsternde Hausfrau gar nicht so dumm. Vielleicht ist sie einfach klug. Vielleicht weiß sie, was sie tut. Die Hamsterkäuferin weiß vielleicht, was passieren wird, wenn ihr Mann kacken muss und kein Klopapier da ist! Oder wie viel Milch getrunken wird, in einem Haushalt, wo alle Home-Schooling oder Home-Office machen. Vielleicht ist das, was ihr als Hamstern abwertet, einfach das, was eine Hausfrau machen muss.
Irgendwie kommt mir dieser Hass auf Hamsterkäufer ziemlich pubertär – HA HA KACKE – aber auch frauenfeindlich vor. Wir finden die Arbeit, die Hausarbeit, das Einkaufen lächerlich. Das Essen, das Toilettenpapier, das soll man nicht einkaufen müssen. Das soll einfach da sein! Wir lachen Hamsterkäufer aus, weil normalerweise diese Arbeit unsichtbar ist, und durch die Panik bemerken wir nun erst diese sonst unsichtbare Arbeit der Frau. Aber wir verachten sie auch dafür, dass sie das macht, und noch mehr dafür, dass sie darüber nachdenkt – und am schlimmsten von allem: sich darüber Sorgen macht.
Die Hausfrau ist lächerlich. Hausarbeit ist lächerlich. Wir lachen Hausfrauen aus – egal ob dicke, müde, einsame Frauen aus den 60ern oder selbstzufriedene Yuppie-Fans von heute. Wir finden sie lächerlich. Die Idee, dass sie tatsächlich arbeiten, ist lächerlich. Die Hausarbeit soll einfach getan werden. Sehen wollen wir das aber nicht. So wie der Schmutz nicht gesehen werden soll.
Die doofe Witze über Klopapier hamstern kommen aus einem tiefen Bedürfnis, dass diese Arbeit und dieser Schmutz – die Kacke – unsichtbar bleibt. Frauen sollen leise und versteckt das Klopapier einkaufen, Männer sollen leise und versteckt drauf kacken. In Zeiten von Corona müssen wir darüber nachdenken. Wahrscheinlich hat Merkel recht, wenn sie sagt, dass Hamstern unsolidarisch ist. Aber solange die Bundesregierung keine Essenspaketen an Alte, an Kranke, an Alleinerziehende schicken möchte, ist diese Unsolidarität nicht die schlimmste Unsolidarität in unserer Gesellschaft – und vor allem nicht der Grund weshalb wir lachen. Wir lachen weil wir nicht über Kacke, über Schmutz und über Hausarbeiten nachdenken wollen.