Das sei wie „Perlen vor die Säue werfen“, sagt sie. „Aber du überlegst dir ja schon, was du danach tun wirst, oder?“, sagt eine andere. „Arbeitest du immer noch dort?“, erkundigt sich ein Familienmitglied.

Ich arbeite in der Gastronomie. In einem großen, liebevollen, aber durch und durch typischen und hippen Yuppie-Gastro-Betrieb in Basel, im Norden der Schweiz. Davor habe ich an einer Uni studiert, bin gescheitert und habe abgebrochen. Noch mal davor habe ich die Matura nachgeholt. Für einen kurzen ersten Moment in meinem Leben bin ich jedoch durchschnittlich glücklich mit allem und mit mir selbst. Ich weiß nicht, ob das meinem Alter geschuldet ist, einem mehr oder weniger erfolgreichen Outing – damit meine ich, dass Bekannte und Freund*innen mich nicht mehr hinterfragen, sondern dass nun das Gütesiegel „keine Phase mehr“ gilt. Oder ob’s damit zu tun hat, dass ich finanziell ohne Existenzängste durch den Tag komme und mir hier und da sogar etwas Luxus leisten kann (z. B. eine Fernbeziehung nach Schweden). Oder ist’s, weil ich mir den Spaß an einer queeren Performance erlauben darf, die ich gewünschtermaßen (issa urban hip) an der Bar spielerisch ausleben soll, und das in ganz vielen anderen Berufen nicht möglich wäre?

©Tine Fetz

Ich weiß lediglich: Ich bin gerade ziemlich zufrieden mit mir selber, was ich so noch nie erlebt habe. Aber ich arbeite Vollzeit in der Gastronomie und das mag ein kreatives, links-akademisches und vor allem weißes Umfeld dezidiert nicht. Es gibt Leute in meinem Umfeld, die meine Arbeit belächeln und mich in meiner Freizeit auf gastronomische Verantwortlichkeiten hinweisen: „Da du in der Gastronomie arbeitest, könntest du ja für XY zuständig sein.“ (natürlich ironisch gemeint) Es gibt Familienmitglieder, die mir subtil mitteilen, dass sie etwas Weitreichenderes von mir erwarten, und es gibt besorgte Freund*innen, die Angst haben, ich könnte in diesem Job versauern, nicht mehr kreativ sein, keinen Entdeckungshunger und Selbstverwirklichungsdurst mehr verspüren. Sie befürchten, ich könnte langweilig, eintönig, uninspiriert und uninspirierend werden.

Und ich hab mich das auch gefragt: Will ich das mein Leben lang? „Natürlich nicht!“, hat sich mein Bewusstsein sofort gemeldet. „Aber ich mag das gerade Vollzeit. Ich mag das machen. Warum darf ich das nicht machen mögen? Warum fühlt sich ein für immer so falsch an?“ „Du wärst ein Loser!“, gibt mir ein neoliberales Über-Ich deutlich zu verstehen.

Sascha Rijkeboer

Sascha hieß nicht immer Sascha. Aber jetzt heißt Sascha so. Sascha kam 1992 in den Niederlanden als Kind eines holländisch/tschechischen Paares zur Welt. Zur Zeit arbeitet Sascha in einer Bar in Basel, setzt sich für queerfeministische Anliegen ein und leistet als non-binäre trans Person Öffentlichkeitsarbeit in unterschiedlichen Kontexten, z. B. schreibt Sascha aktuell Kolumnen für Bajour und das Missy Magazine. Sascha tourt mit einem queer Spoken-Word-Programm in der Deutschschweiz.

Und alle diese Fragen kacken mich so dermaßen an! Dass das von reflektierten Freund*innen unhinterfragt kommt, macht mich wütend! Dass sich das in meinen Kopf selbstverständlich einschleicht, macht mich wütend! Wie stellt man sich das vor? Ein*e andere*r müsste meine Arbeit machen, wenn ich irgendwo am Selbstverwirklichen wäre. Und scheinbar ist das kein Problem, dass da eine andere Person wäre, die diese perspektivlose Arbeit wert wäre. Wie auch immer ich es drehe und wende, eines bleibt übrig: Es ist zwar ein Druck, aber auch ein unfassbares Privileg, dass ich mir überhaupt überlegen kann, ob es für mich ein danach gibt. Für viele existiert diese Frage nicht. Z. B. für die migrantischen Mütter, die vor dem Öffnen meines Betriebs von 5 Uhr bis 7 Uhr putzen kommen. Sie trinken hastig den Kaffee, den ich ihnen offeriere, um im Anschluss an ihre Lohnarbeit zu Hause das Frühstück zuzubereiten und ihre Kinder in die Schule zu schicken.

Auch eine Kollegin von mir, die in der Schichtleitung arbeitet, bestätigt mir, dass sie diesen Vorurteilen begegnet. Prägend sei’s vor allem an ihrem vorherigen Arbeitsplatz gewesen. Jede*r der Angestellten hätte ihr die Frage gestellt: „Weißt du schon, was du danach machst?“ Sie schöpfte als 19-Jährige in einer Spitalskantine mit alleinerziehenden Müttern Essen aus großen Edelstahlbecken. Die Mütter waren davor 15 Jahre zu Hause; ihre Care-Arbeit wird nicht als Arbeit anerkannt, sie sind zu alt, zu ungebildet, zu lange weg. Sie machen jeden Tag dasselbe: schöpfen aus großen Edelstahlbecken und putzen danach die Küche. Sie können sich nicht überlegen, ob das perspektivlos ist, was sie tun.

Ich weiß nicht, was ich danach tun werde. Bitte frag mich nicht! Frag dich, warum du mir diese Frage stellst! Warum du dieser Arbeit so wenig zuschreibst. Ist es nur, weil dieser Arbeit so wenig finanzieller Wert zugesprochen wird? Frag dich: Warum kann Sascha – und können andere – sich deine begehrte „Kreativarbeit“ neben so einem Job kaum leisten? Und warum gibt es eine so große Lohnschere?

Und bitte frag dich auch: Warum sind es strukturell vor allem marginalisierte und unterprivilegierte Gesellschaftsgruppen, die all diese Arbeit verrichten?