Binge Watching gegen das Patriarchat
Von
I Am Not Okay With This
Diese Frisur. Die Haare von Hauptdarstellerin Sydney stehen für alles, was die neue Netflix-Miniserie „I Am Not Okay With This“ besonders macht. Es ist eine so nonchalante, unaufgeregte Nicht-Frisur, dass man immer wieder an ihrer geplanten Ungeplantheit hängen bleibt. Kurz, lockig, androgyn, retro, zeitlos, brav und nonkonformistisch gleichzeitig. Ebenso atemberaubend paradox ist auch das amerikanisch-postindustrielle Vorstadtsetting, das mit seiner so tristen wie knallbunten Materialität genauso gut vor
dreißig Jahren wie heute existieren könnte. Man meint, man könnte die Lebensmittel im staubigen Supermärktchen riechen, den Ketchup im Diner schmecken, den putzigen Haustier-Igel von Sydneys kleinem Bruder Liam auf dem Schoß spüren. Selten sah eine Fernsehserie so überwältigend trist und lebensfroh realistisch gleichzeitig aus, und auch die Erzählhaltung schwankt zwischen abgeklärter „Napoleon Dynamite“-Ironie und ehrlich gefühltem Coming-of- Age-Herzschmerz. Denn Sydney, die 17-jährige weiße, dauerschlechtgelaunte Schülerin im Mittelpunkt der Story, hat am Selbstmord ihres Vaters, dem schwierigen Verhältnis zur dauermalochenden Mutter und den ungeklärten Feelings zu ihrer BFF Dina zu knabbern. Letztere ist als afroamerikanische Stylerin, Schulstar und Freundin des tumben Football-Heros Brad so weit vom Klischee der blonden, doofen, unsolidarischen Tussi entfernt, dass es eine Freude ist – wie auch Sydneys treuer Sidekick Stanley, der von seiner großen Netzfangemeinde schon zum Manic Pixie Dream Boy gekürt …