Meine Liebste sagt, seit ich sie kenne: „Ich will eigentlich mein taz-Abo abbestellen, aber dann kommt immer irgendwie ein Text von Hengameh.“ Hengameh Yaghoobifarah schreibt eine Kolumne für die „taz“. Ich nehme an, das weiß inzwischen ganz Deutschland. Ich bin mir allerdings sicher, die meisten Menschen haben den besagten Text, der das Land in Unruhe versetzt, nie gelesen, sondern sich mit den zweifelhaften bis schlechten Interpretationen und Paraphrasierungen des Texts begnügt. Oder wussten vorher schon, was sie lesen wollten, und haben genau das dann auch gelesen.

Ich könnte mich wie viele andere auch an dem Text abarbeiten. Darauf hinweisen, dass der Text gleich zu Beginn deutlich macht, dass er sich mit einem realen Problem innerhalb der Polizei befasst, ein satirisches Gedankenspiel ist, endet mit dem Verweis, dass Cops wohl eh am liebsten unter sich wären. Ich könnte, wie viele andere auch, darauf verweisen, dass der Text innerhalb einer Debatte um Polizeigewalt entstanden ist, dass dieser Diskurs mit der Aufregung um Hengamehs Text erfolgreich verschoben und abgelenkt wurde, auf die Machtdimension Innenminister – Kolumnist*in, Polizei – Einzelperson, auf das gewollte Missverstehen all jener, die sich aufregen, um nicht über das System nachdenken zu müssen, in dem wir leben. Ich könnte darüber schreiben, dass der Schaden angerichtet ist, auch wenn Seehofer jetzt beschlossen hat, nicht anzuzeigen.

©Tine Fetz

Ich könnte meine Solidarität mit Hengameh Yaghoobifarah bekunden und auf den offenen Brief von friendsofhengameh an die Bundeskanzlerin verweisen. All das wäre wahr. All das wäre wichtig. All das sind Texte, die noch zigmal geschrieben gehören.

Aber was ich will, ist, meine verbleibenden 3000 Zeichen zu nutzen, um Hengameh zu danken. Denn was in der Debatte völlig untergeht, ist, wie bedeutend Hengameh als Stimme innerhalb unserer Medienlandschaft und Communitys ist. Ohne Hengameh gäbe es diese Kolumne nicht. Hengameh hat mir gut zugeredet, den Kolumnenspot überhaupt anzunehmen, meine jüdische Stimme lesbar zu machen, Hengameh hat sich solidarisiert, die paar Mal, als mir das Netz (antisemitisch) um die Ohren geflogen ist. Und das, obwohl ich zur awkwardsten Version meiner Selbst mutiere, wenn Hengameh anwesend ist, weil mir bewusst ist, welche Bedeutung Hengameh bereits hat und noch haben wird. Denn Hengameh politisiert die Räume und Debatten, in denen Hengameh wirkt. Diese werden heteronormativitäts-, rassismus-, klassismus-, antisemitismus-, insgesamt herrschaftskritischer. Und gleichzeitig auch queerer, mehr und mehr Raum für BIPoCs, weniger bildungstümlich, jüdischer und – das ist bei Weitem nicht dasselbe! – insgesamt weniger Mittelschichts-Christen-Weißbrot-Heten-Mehrheitsspaces.

Debora Antmann

1989 in Berlin geboren und die meiste Zeit dort aufgewachsen. Als weiße, lesbische, jüdische, analytische Queer_Feministin, Autorin und Körperkünstlerin, schreibt sie auf ihrem Blog „Don’t degrade Debs, Darling!“ seit einigen Jahren zu Identitätspolitiken, vor allem zu jüdischer Identität, intersektionalem Feminismus, Heteronormativität/ Heterosexismus und Körpernormen. Jenseits des Blogs publiziert sie zu lesbisch-jüdischer Widerstandsgeschichte in der BRD, philosophiert privat über Magneto (XMen) als jüdische Widerstandsfigur und sammelt High Heels für ihr Superheld_innen-Dasein.

Hengameh kuschelt nicht mit der hegemonialen Medienlandschaft. Alle bekommen das, was sie verdienen: Empowerment auf der einen Seite, die harte Wahrheit auf der anderen. Politische Bewegung ist geprägt von Sprache und Hengameh gehört zu jenen, die diese immer wieder neu schafft, Bekanntes neu zusammensetzt, Gewusstes nicht müde wird zu wiederholen und jenen ins Gesicht zu reiben, die da sonst Schuhcreme als „Verkleidung“ reinpinseln. Hengameh Yaghoobifarah ist eine Schlüsselfigur und ich glaube, in 30 Jahren schauen wir zurück und begreifen erst so richtig, was Hengameh alles in Bewegung gesetzt hat. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich glaube nicht an Personenkult oder an Ikonisierung, weil das oft verkennt, wer soziale Bewegungen unsichtbar mitgetragen und möglich gemacht hat, aber wenn wir uns Bewegungsgeschichte anschauen, dann gibt es Akteur*innen, die Raum schaffen für Identifikation, für Stimmen, für Gehör, für Diskurse, für Projektion. Es sind die Figuren, die wie Leuchttürme funktionieren und oft auch Communitys verbinden, aber eben auch die Stellvertreter*innen sind, an denen sich die Mehrheitsgesellschaft erst mal abarbeitet. Die belacht, beleidigt, bedroht und angegriffen werden. Hengameh ist ein Leuchtturm, schafft Räume und Debatten, lässt Positionen zu Wort und Gehör kommen, ohne auf die Assimilationskarte zu setzen, und zahlt dafür den Preis des ständigen Kreuzfeuers. Hengameh Yaghoobifarah gehört zu den wichtigsten Persönlichkeiten unserer Generation. Vielleicht nicht nach wc-deutschen hegemonial Maßstäben, aber genau deswegen! Wir brauchen nicht nur Menschen wie Hengameh Yaghoobifarah, wie brauchen Hengameh Yaghoobifarah!

Deswegen geht es hier nicht nur um einen Text. Deswegen dürfen wir nicht zulassen, dass Hengameh von rechtskonservativen Politiker*innen wie Seehofer der Mehrheitsgesellschaft und Rechtspopulist*innen zum Fraß vorgeworfen wird. Deswegen reichen Solidaritätsbekundungen nicht, deswegen reicht das Verteidigen der Pressefreiheit nicht, sondern jede Person muss sich bewusst machen, was Personen wie Hengameh für marginalisierte Communitys bedeuten, und sie dann verteidigen. Quasi bis zur letzten Patrone oder so …