„Humor ist meine Art, politische Fragen zu verarbeiten“
Kolumnist*in:
Interview: Ulla Heinrich
Fotos: Stefanie Kulisch
Tarik, herzlichen Glückwunsch zur dritten Ausgabe insgesamt und ersten Edition online deiner „Trallafitti-Show“. Wen hattest du zu Gast und worum ging es inhaltlich?
Meine Gästinnen waren die Musikerin und Künstlerin Rola und die Moderatorin Aminata Belli. Als Sidekick war die Schauspielerin Thelma Buabeng dabei. Ihre Position haben wir jetzt in Side-Queen umbenannt, das passt besser. Im Stand-up-Teil am Anfang der Show ging es um die neue Kategorie „Deutschfeindlichkeit“ in der Statistik zu politisch motivierten Straftaten des Innenministeriums. Deshalb ging es auch um Mallorca, weil die Menschen ja wieder reisen dürfen und wir uns gefragt haben, ob mit Deutschfeindlichkeit gemeint ist, dass es keine Schnitzel auf Malle gibt. Da wir alle Schwarze Medienschaffende und Künstler*innen sind, ging es um die Black-Lives-Matter-Bewegung und darum, wie Deutschland mit dem Thema Rassismus und Polizeigewalt aktuell umgeht.
War die Umstellung der Show auf ein Onlineformat, bedingt durch die COVID-19-Krise, ein Verlust oder Gewinn?
Es ist schon super, eine ganze Show aufgenommen zu haben. Wir haben jetzt Showerfahrung mit Live-Publikum und als Netzshow. Das ist gut.
Was heißt „Trallafitti“?
Trallafitti ist ein Begriff aus dem Ruhrgebiet und heißt so viel wie „Party machen“, Spaß haben und auch ausrasten. Also, es ist eine Party mit Kopfschmerzen danach. Wenn ich früher mit einem Kater vom Feiern bei meiner Oma zu Besuch war, hat sie mich gefragt: „Na Tarik, warst du wieder auf Trallafitti?“ Es passt perfekt zur Show, denn sie ist politisch, soll aber auch eine gemeinsame Party mit dem Publikum sein und hat was mit meiner Heimat, dem Ruhrgebiet, zu tun.
Die „Trallafitti-Show“ ist als Late-Night-Show konzipiert, ein Format, das hier in Deutschland von weißen Heteromännern und ihren Perspektiven dominiert ist. Warum interessiert dich gerade dieses Format?
Weil es noch niemand richtig gebrochen hat. Nach Stefan Raab habe ich aufgehört, Late-Night-Shows zu schauen. Als dann Klaas als progressiver Late-Night-Host eine Show bekommen hat, hat mich das angestachelt, was Eigenes zu machen. Ich unterhalte einfach gern Leute. Die Show hat ein klassisches Late-Night-Setup – ich habe einen Schreibtisch und meine Gäst*innen sitzen neben mir für den Talkteil – aber gleichzeitig versuchen wir, so wenig Late-Night wie möglich zu sein, denn diese steht für eine weiße Mittelschichtsperspektive, wo Sexismus und andere Ismen reproduziert werden.
In der Show zeichnet ihr einen „Horst“ und eine „Whitney“ aus. Was hat es damit auf sich?
Wenn man etwas Late-Night-Show nennt, gibt es eine gewisse Struktur. Wir spielen mit den Elementen solcher Shows, weil wir natürlich auch Gegenmodell sein möchten. Ich nutze den Stand-up-Part, um auf Aktuelles aus Politik und Gesellschaft einzugehen. Beim „Horst des Monats“ schauen wir, wer politisch danebengehauen hat, und bei der „Whitney des Monats“ geht es um Wertschätzung für eine tolle Persönlichkeit. Die Show wird mit einem Lip-Sync-Battle abgeschlossen, damit referieren wir auf Drag und queere Undergroundkultur.
Die Show, aber auch dein gesamter Medienauftritt, sind auf einem extrem hohen Niveau produziert. So was machen normalerweise ganze Teams. Soweit ich weiß, machst du das alles ohne Produktionsfirma. Was bedeutet dir diese Unabhängigkeit?
Ich hatte eine Produktionsfirma und wir haben uns aus Gründen getrennt. Auch wenn Menschen bereit sind zu lernen, ich möchte meine Kooperationspartner*innen nicht erziehen müssen, sondern mit Menschen arbeiten, die verstehen, was ich mache. So etwas habe ich leider noch nicht gefunden. Ich habe ein tolles Team, aber wir haben kein Geld. Es kann eigentlich nicht sein, dass so etwas ohne Kohle produziert wird. Das ist ein Problem. Ich brauche eine Plattform, die mir genug künstlerische Freiheit gibt. Ich möchte nicht mehr mit Leuten zusammenarbeiten, die problematische Ismen reproduzieren.
Netflix sollte dir also dringend eine Show anbieten?
Genau! Es gibt aber auch andere.
Du hast eigentlich noch nie auf einen Wandel in der deutschen Medienlandschaft gewartet, sondern immer mit eigenen Formaten und Kanälen deinen Content rausgehauen. Trotzdem, was muss sich dringend ändern?
Es muss sich von Grund auf alles verändern, nicht nur die Medien. Aber gerade in der Medienbranche geht es um Macht. Die Macht darüber, wer über welche Themen spricht, welche Themen überhaupt Beachtung finden, wer bekommt Geld und wer bekommt keins. Wenn es um Entscheidungen geht, werden diese zu einem nicht unerheblichen Teil von weißen Typen gemacht. Deshalb überrascht es nicht, wie die Programme aussehen. Es kann nicht sein, dass Diversität erst bei den Freiberufler*innen anfängt, sondern die Menschen müssen in die Redaktionen und Chefredaktionen. Wer wird als Expert*in und angemessene Gesprächspartner*in wahrgenommen und wer nicht? Und müssen wir wirklich zum zehnten Mal einen Klaus-Dieter etwas erklären lassen? Klaus-Dieter soll gerne was sagen, aber es wäre doch super, wenn andere auch etwas beitragen dürfen. Und wenn über Rassismus nur aus einer weißen Perspektive gesprochen wird, dann ist das ein Problem. Deswegen brauchen wir andere Teams mit verschiedenen Lebensrealitäten. Das bringt am Ende auch den besten Content. Diverser aufstellen heißt nicht, jetzt alle zu fragen, ob es Rassismus in Deutschland gibt, oder einer Person stellvertretend ein Mikrofon zu geben, wenn die Fragen von einer weißen Redaktion geschrieben wurden.
Da du gerade den Klaus-Dieter erwähnt hast – du hast ja die Kunstfigur des Kai-Uwe. Wer ist das?
Der Kai-Uwe kommt genau daher, wo ich herkomme: aus dem Ruhrgebiet. Dort gibt es Mehrfamilienhäuser, viele Gastarbeiter*innenfamilien, es ist ein sehr migrantisches Viertel. Kai-Uwe ist ein Typ von da, der das nicht so toll findet, dass dort so viele Migrant*innen leben, der sich aber eigentlich mit den Leuten verbünden sollte, denn die Mehrheitsgesellschaft wertet auch ihn ab. Er schimpft auf Migrant*innen und weiß es auch nicht besser. Kai-Uwe ist schon auch ein bisschen ich. Wir sind alle manchmal wie Kai-Uwe, haben problematische Gedankengänge, aber wir müssen einen Schritt weitergehen und uns damit auseinandersetzen. Kai-Uwe hat bisher immer getrunken. Das wird er in Zukunft nicht mehr tun, weil ich gemerkt habe, dass ich mich nicht über Menschen mit Alkoholkrankheit lustig machen möchte.
Der Stil deiner gesprochenen und geschriebenen Texte ist von einem intelligenten Humor geprägt, der manchmal so viele Referenzen hat, dass man gut zweimal lesen oder hinhören darf. Wie gehen für dich Humor und politischer Aktivismus zusammen?
Humor ist meine Art, um politische Fragen zu verarbeiten. Humor ist nicht prinzipiell besser, aber es ist meine Strategie. Ich finde es besser zu lachen. Auch das Eigentlich-können-wir-nicht-mehr-lachen-Lachen. Lachen ist für mich Empowerment und gibt mir Energie. Zu sagen: Hier passiert Scheiße, aber ich bekomme es hin und lache mit einem geilen Spruch darüber. Das ist natürlich kein Teil meines privaten Lebens, aber von meiner inszenierten öffentlichen Persona. Auch das ist ein Freiheitsmoment, ich zeige den Leuten einen Teil von mir und ich entscheide, welchen. Wenn ich versuche, ernste Videos zu machen, fällt mir nichts ein.
Nicht nur in deinem frühen Format „Tariks Genderkrise“, auch in anderen Outputs hast du immer vermittelt, erklärt, politische und aktivistische Diskurse zugänglich gemacht. Welche Rolle spielt für dich Vermittlung?
Mittlerweile benutze ich verschiedene Begriffe einfach, weil ich denke: Leute, googelt es halt. Ich habe mit der naiven Idee begonnen, dass ich mit meinem politischen Content anfange, und irgendwann sagt das deutsche Mediensystem: „Schau mal, das ist doch ein cooler Typ, der ist Moderator und bekommt jetzt Moderationsjobs.“ Das ist nur leider nie passiert. Ich halte immer noch Vorträge und gebe Workshops, das macht mir auch Spaß und ist mir wichtig, aber das ist eigentlich nicht mein Job. Ich will produzieren und moderieren. Wir haben ja gerade darüber gesprochen, dass ich nicht darauf warte, dass mir jemand einen Platz gibt. Das heißt für mich aber auch, dass ich in einer Rolle festgeschrieben bleibe. Ich will nicht nur antirassistische Bildungsarbeit machen. Es gab Zeiten, in denen ich gedacht habe, dass ich nicht gut genug bin. Mittlerweile weiß ich, dass es hier um Ungleichheitsstrukturen geht. Das Einzige, was ich sagen darf, ist: „Ja, Rassismus ist scheiße.“
Interessanterweise bist ja zufällig im Internet gelandet und nun einer der wichtigsten deutschsprachigen unabhängigen Content Creator. Wie ging diese Geschichte gleich noch mal?
Eigentlich habe ich das Internet vor 2015 hart ignoriert. Ich bin ein Fernsehkind. Ich dachte immer, alles muss im Fernsehen landen, sonst hat es keine Qualität. Im Netz können ja alle etwas machen, also kann es nicht so gut sein. Das ist eine schlimme Idee, also zu denken, dass Dinge nur gut sein können, wenn sie elitär sind. Das Fernsehen wollte mich aber nicht haben, deshalb bin ich im Internet gelandet. Dann habe ich gemerkt, wie viele Freiheiten es im Netz gibt und wie viele tolle Leute aktiv sind. Es gibt so spannende Perspektiven, viele Leute hören einfach nicht zu. Ich hatte bis 2017 kein Smartphone. Und klar, wenn ich jüngere Leute sehe, wie die Insta-Stories machen … in der Zeit habe ich gerade mal meinen Namen geschrieben. Ich habe für mich die Mechanismen mittlerweile verstanden, suche aber noch meine Rolle, vor allem bei Instagram, weil ich keinen persönlichen Content teilen möchte. Ich will aber gleichzeitig auch nicht zumachen, weil es die Leute ja durchaus interessiert, wer ist Tarik Tesfu privat und warum macht der das so? Ich denke mir selbst manchmal, wer ist dieser Boy? Auch meine persönliche Geschichte ist sicherlich total interessant, aber da bin ich noch nicht. Viele Leute denken auch, dass es bei mir gerade super läuft, nur weil ich viele Abonnent*innen in den Sozialen Medien habe. Die zahlen allerdings nicht meine Miete. Super würde es laufen, wenn ich Geld für meine Arbeit bekommen würde und meine Show nicht selbst produzieren müsste.
Du hast Ende letzten Jahres gesagt, dass du den Hate-Speech-Diskurs im Internet als Verniedlichung empfindest. Wie meinst du das?
Ich nutze den Begriff nicht mehr. Ich finde es nicht gut, einen neuen Begriff zu verwenden, für etwas, was es schon gibt: Rassismus, Queerfeindlichkeit, Sexismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus. Was im Netz passiert, ist Gewalt. Dafür haben wir Wörter und Gesetze. Wenn ich den Laptop ausmache, endet diese digitale Gewalt nicht. Als krasse Konsequenz werden Menschen wie ich gesilenced, weil sie dem Hass psychisch nicht standhalten können oder weil sie selbst und Familienangehörige bedroht werden. Menschen verhalten sich rassistisch mit und ohne Laptop, das müssen wir uns anschauen und nicht fürs Internet neu framen. Wir müssen an das gesamtgesellschaftliche Problem endlich ran und nicht lange darüber nachdenken, was im Netz anders läuft: essenziell nichts.
Tarik, welche Ziele hast du dir für die nahe Zukunft gesetzt?
Ich möchte ein regelmäßiges Format moderieren. Das muss nicht unbedingt meine Show sein. Die „Trallafitti-Show“ wird es so oder so geben, sie ist meine Kampfansage an das Mediensystem. Das ist eher etwas für mich, was ich liebe. In fünf Jahren habe ich fünf feste Formate, die „Trallafitti“ wird super finanziert, weil nicht mehr weggeschaut werden kann. Und natürlich bin ich dann Markenbotschafter für Gucci – für eine komplett nachhaltige Kollektion selbstverständlich [lacht].
Danke für das Gespräch, Tarik.