Text: Josephine Apraku
Illustration: Tine Fetz

Mein Kind ist jetzt schon länger offiziell ein Kleinkind und ich denke nicht im Traum daran, wieder schwanger zu werden. Sicherlich hat das auch mit der aktuellen Pandemie und der Tatsache zu tun, dass wir dadurch ein halbes Jahr länger als ursprünglich geplant ohne Kindergarten waren. Im Kreis meiner Bekannten hingegen sind inzwischen einige Geschwister in Planung, noch unterwegs oder schon da. Ich finde das bemerkenswert, weil ich aktuell nicht nur keinen Bock habe, schwanger zu sein – wenn du einen meiner ersten Texte  liest, wird, glaube ich, klar warum –, sondern vor allem, weil ich mich frage, was Familie ist, wie sie aussieht und wer dazugehört.

Ich selbst war theoretisch lange Zeit Einzelkind. Erst als ich 15 war, kam eine Schwester dazu, mit der ich im selben Haushalt lebte. Ich schreibe deswegen theoretisch, weil meine alleinerziehende Mutter sich schon, als ich noch sehr klein war, mit einer anderen alleinerziehenden Mutter die Wochenenden aufteilte. An Wochenenden und manchmal auch unter der Woche hatte ich also eine gleichaltrige und vor allem Schwarze Schwester. Wir waren tatsächlich wie Schwestern: Wir spielten, stritten und vertrugen uns, heckten Unfug aus, sprangen im Badeanzug von meinem Hochbett in die Fluten – Decken und Kissen –, aßen Bum Bum in Freibädern, guckten heimlich Horrorfilme und schmissen Wasserbomben von Balkonen.

Josephine Apraku

ist nicht mehr ganz so neues Elternteil, macht Bildungsarbeit zu Diskriminierungskritik, schreibt Dinge und gründet gerade neu.

Wenn ich heute mein Fotoalbum betrachte, freue ich mich über all die Fotos, auf denen sie mit mir ist. Besonders über zwei Bilder, die aufeinanderfolgen: Auf dem ersten sitzen wir lachend in der Badewanne, auf dem zweiten, Minuten später, laufen uns Tränen über die Wangen. Ein schönes Kinderleben. Warum schreibe ich das alles?! Weil ich mich wegen ebendieser Erfahrung, meiner ersten Schwester – sister from another mister –, frage, ob unsere Geschwister wirklich unbedingt und ganz dringend biologisch sein müssen? Ich finde nein. Heißt das, dass ich finde, dass jetzt alle um mich herum aufhören sollten, mehr Kinder zu bekommen? Ganz ehrlich: I don‘t care — macht, was ihr wollt.

Für mich geht es darum zu überlegen, wie wir uns als Eltern und Freund*innen organisieren können. Im Grunde frage ich mich das aus zweierlei Gründen – beide wie beschrieben aus der oberen Situation geboren: 1. Als Mama, die nicht alleinerziehend ist, möchte ich solidarisch mit den Mamas um mich herum sein und wenn möglich deren Kinder zu Spielplätzen, Planschen – es gibt nix Tolleres, is so! –, zu Freibädern mitnehmen und bei uns übernachten lassen. Ein Freund von mir sagte nach der Geburt seines ersten Kindes so was wie: “Alleinerziehend sein muss das Krasseste sein, was es gibt. Dagegen ist Bomben entschärfen ohne Wissen oder Anleitung gar nix!” 2. Als Mama, die selbst auf diese Weise groß geworden ist, fände ich für mein Kind schön, wenn es den Raum hätte, sich auch selbst Geschwister zu suchen.

Mir fällt gerade auf, dass ich 3. einfach auch schön finde, auf diese Weise auch mit anderen Eltern zu sein: gemeinsam übermüdet auf dem Spielplatz die Kinder davon abhalten abzuhauen. Zusammen abendzuessen und so ein bisschen mehr aus der elterlichen Isolation – sowohl für mich als auch für Alleinerziehende – zu gelangen.

Zurück zu meiner ersten Schwester: Selbst heute, sie wohnt in den USA, sehen wir uns meistens über viele Jahre nicht, aber ich habe das Gefühl, sie zu kennen, ihre Essenz zu kennen, zu verstehen, wer sie heute ist und warum. Es fällt uns leicht, zusammen zu sein. Kein bisschen weniger leicht, als es mir mit meiner biologischen Schwester fällt.