Comictipps 05/20
Von
Ich begehre Frauen
Wann wurde dir in deiner Jugend klar, dass du Frauen begehrst? Mit dieser Frage bat die Comicautorin Diane Obomsawin Freundinnen und ehemalige Liebhaberinnen zum Gespräch. Deren sowie ihre eigenen Erinnerungen an das Coming-out goss die kanadische Künstlerin in zehn intime Erzählungen im Miniaturformat. Meisterlich leuchtet sie darin die Komplexität der Emotionen ihrer Figuren und die gesellschaftlichen Bedingungen, denen sie unterliegen, mit einfachsten Mitteln aus – von herzerwärmend bis herzzerreißend, von romantisch bis sexy, von skurril bis bitter, immer mit einer guten Prise Humor. Ihr sei es wichtig gewesen, den Geschichten Leichtigkeit zu verleihen, sagt Diane Obomsawin, die Ende der 1950er-Jahre geboren wurde, als die – ohnehin nur spärlich vorhandene – mediale Repräsentation von Lesben vor allem von leidvollen Existenzen ausging. Umso süßer scheint die Freude an der Lust, die in „Ich begehre Frauen“ steckt und lesbische Liebe als Teil einer universellen Erfahrung begreiflich macht. Vina Yun
Diane Obomsawin „Ich begehre Frauen“ Aus dem Französischen von Christoph Schuler. Edition Moderne, 80 S., 24 Euro
1974
„1974“, der neue Comic der Duisburger Zeichnerin Silvia Dierkes, beschreibt einen historischen Sonderfall, der uns hierzulande lange als bleierne Normalität vorgegaukelt wurde: dass Frauen nicht außer Haus und für Geld arbeiten. In allen Teilen und Zeitaltern der Welt haben Frauen für ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihrer Familie gearbeitet, mal mit mehr, mal mit weniger Ausbeutung und Diskriminierung. Nur in westlich geprägten Gesellschaften setzte sich mit dem Siegeszug des Bürgertums im 19. Jahrhundert die Vorstellung durch, dass sie zu Hause ohne Lohn arbeiten sollen. Am Beispiel der jungen Ehefrau und Mutter Rita beschreibt Dierkes mit einfachen, aber eindringlichen Alltagsszenen in nur an manchen Stellen von lebhaftem Rot unterbrochenen, wunderschön weichen Bleistiftzeichnungen in Grau-Braun, wie klaustrophobisch ein (west-)deutsches Frauenleben noch vor weniger als fünfzig Jahren sein konnte: Küche, Kind und ab und zu mal heimlich nach dem Kindergarten in die Kneipe ohne eigene Kohle. Dass Ritas Leben am Ende doch noch zu einer Emanzipationsgeschichte wird, weist mutvoll in die Zukunft – und erinnert uns gleichzeitig daran, dass einmal erkämpfte Fortschritte immer wieder bedroht werden können. Sonja Eismann
Silvia Dierkes „1974“ jaja Verlag, 64 S., 22 Euro, VÖ: Okt.
Diese Texte erschienen zuerst in Missy 05/20.