Als wörtliche deutsche Übersetzung für „race“ schlägt das Wörterbuch „Rasse“ vor. Dennoch findet sich dieser Begriff in keiner ernst zu nehmenden aktuellen Übersetzung rassismuskritischer Literatur. Dort bleibt es vielmehr bei „race“, denn „race“ und „Rasse“ meinen in diesem Kontext nicht dasselbe. Während „race“ im englischsprachigen Raum durch eine akademische Verankerung eine Bedeutungswandlung von einer vermeintlich biologischen Kategorie hin zu einem sozialwissenschaftlichen Analyse-Tool vollzogen hat, impliziert „Rasse“ im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch die Existenz unterschiedlicher menschlicher Rassen. Kurz: Wer von „race“ spricht, weiß, dass Rassen eine Erfindung des Rassismus sind. Aber: Wer „Rasse“ sagt, glaubt, dass es Rassen gibt und ist demnach potenziell Rassist*in?
Ganz so einfach ist es leider nicht. In Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland steht u. a. wörtlich, dass „[n]iemand […] wegen […] seiner Rasse […] benachteiligt oder bevorzugt werden [darf]“. Diese Formulierung ist im Kontext der Gründung der BRD zu verstehen und sollte einer nationalsozialistischen Rassenideologie konkret entgegenwirken. Der Ansatz ist löblich und bis heute richtiger, als er auf den ersten Blick erscheint. Nicht leicht zu verstehen ist, dass es biologisch zwar keine Grundlage für Menschenrassen gibt, Menschen aber aufgrund der Annahme von Menschenrassen diskriminiert werden können. Statt zu diskutieren, dass Unterschiede sozial, politisch, religiös oder kulturell begründet sein könnten, wurde in Wissenschaft und Gesellschaft von einer vermeintlich „natürlichen“ Ordnung ausgegangen. Man glaubte: Menschen sind unterschiedlich, weil sie zu einer bestimmten „Rasse“ gehören, deren Kriterien sich vor allem an der äußeren Erscheinung orientierten. Eine systematische Hierarchisierung kam mit der europäischen Aufklärung und dem Kolonialismus.

Die Idee einer universalen, gleichwertigen Menschheit galt nicht für alle. Sie schloss vor allem die Menschen aus, die vor der Ankunft der Europäer*innen auf dem afrikanischen Kontinent und in den Amerikas lebten und die fortan aufgrund ihrer angenommenen Rasse als weniger wertig betrachtet wurden. In Deutschland erfuhr das Konzept der „Rasse“ mit dem Nationalsozialismus eine besondere Zuspitzung. Die im 19. Jahrhundert in Europa entwickelte Vorstellung einer „semitischen bzw. jüdischen Rasse“ wollte den seit Jahrhunderten verbreiteten Antisemitismus auf ein wissenschaftliches Fundament stellen und gipfelte in der Vernichtungspolitik der Nazis. Das schuf eine für deutsche Kontexte spezielle Verquickung von Rassismus und Antisemitismus, die bis heute nicht umfassend wissenschaftlich aufgearbeitet ist.

Hinzu kommt ein Paradoxon: Während Rassismus keine biologisch verbürgten Rassen braucht, um funktionieren zu können, wird Antirassismus-Arbeit ohne einen spezifischen sozialwissenschaftlichen Rassebegriff schwierig, weil ohne diesen nicht klar ist, worüber gesprochen wird. Den Begriff jetzt aus dem Grundgesetz zu streichen, wie es u. a. die Grünen fordern, wäre insofern fatal, als damit auch die rechtliche Grundlage verschwinden würde, gegen Rassismus vorzugehen. Ein möglicher alternativer Begriff müsste die internationale Anschlussfähigkeit berücksichtigen, sowohl in juristischen als auch in sozialwissenschaftlichen Kontexten. Zu diesem Zeitpunkt muss es also darum gehen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, den deutschen Rassebegriff zu diskutieren, einzuordnen und eventuelle Alternativen sozialwissenschaftlich und juristisch greifbar zu machen. Das englische „race“ hat diesen Prozess vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte bereits durchlaufen.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 05/20.