Im Sommer 2018 starb Aretha Franklin. Ich hatte erst wenige Tage vor ihrem Todestag eine Biografie über sie zu Ende gelesen. An diesem Augusttag ging uns eine Jahrhundertstimme verloren. Ich hatte zuvor mitbekommen, dass sie erkrankt war. Aber wie schwer, war mir nicht bewusst. Das ist ein interessanter Punkt, der sich generell durch Arethas Leben zieht: Privat lebte sie eher zurückgezogen. Sie war als eine beeindruckende Berühmtheit bekannt, die bis zum Schluss gesanglich wahnsinnige Qualität ablieferte. Ich bewundere sehr, dass sie ihre Stimme so lange halten konnte. So etwas körperlich zu leisten wünscht sich wahrscheinlich jede*r Sänger*in. Ihrem Körper wurde insgesamt viel abverlangt. Ihr erstes Kind bekam sie mit zwölf. Als sie 15 war, war sie bereits zweifache Mutter. Sie ist, wie ich, Mutter von Söhnen. Und doch spielte ihr Mutterdasein in ihrer öffentlichen Karriere keine elementare Rolle. Hier in Deutschland wird man als Frau, die in der Öffentlichkeit steht, ständig gefragt, wie es um die eigenen familiären Pläne steht. Und wenn man bereits Kinder hat, geht es darum, wie man denn Familie und Beruf unter einen Hut bekommt. Obwohl wir in genau der gleichen Position sind, wurde mein Mann, Max Herre, der auch Musiker ist, noch nie danach gefragt.

Missy Magazine 05/20, Now&Then, Joy Denalane
© Ulrike Rindermann

Spektakulär an Aretha ist auch, wie sie es als Sängerin geschafft hat, so viele Emotionen zu kreieren, immer wieder Transformationen durchzumachen und so begeistert und leidenschaftlich zu arbeiten, dass sie nie damit aufhörte. Ich fühle die Art ihres Gesangs, die Gefühlswelt, in der sie bestimmte Töne produziert. Für die Afroamerikanerin war Rassismus sicherlich ein Dauerthema. Aber es gibt eben auch spezifische Ereignisse und Momente, aufgrund derer sich bestimmte Gefühlswelten noch einmal potenzieren. Dazu gehörte auch die Bürgerrechtsbewegung, in der Aretha eine wichtige Stimme entwickelte. Gerade befinden wir uns in der Corona-Krise gepaart mit der Black-Lives-Matter-Bewegung, die durch den Mord an George Floyd gesamtgesellschaftlich mehr Gehör findet. In solchen Momenten gibt es Veränderungen. Diese sind vielleicht nicht riesengroß, aber sie lösen viele Gefühle und Gedanken aus, in der Gesellschaft und insbesondere bei den betroffenen Menschen. Aretha war von vielen dieser Momente ein wichtiger Teil. Und auch ihr Todestag war einer, der bedeutende Spuren hinterließ. Dieser Tag im August war somit für mich und viele andere der eines großen Verlusts. Das ist aber nicht gleichzusetzen mit den Erfolgen, die Aretha für sich, für mich und für die Welt erkämpfte.

Missy Magazine 05/20, Now&Then,Aretha Franklin
© Sony Music

Joy Denalane ist seit über zwanzig Jahren eine der wichtigsten Stimmen in der deutschen Musiklandschaft. Genreübergreifend finden sich Soul, R’n’B und Pop-Elemente in ihrer Kunst. Ihr neues, kürzlich erschienenes Album „Let Yourself Be Loved“ ist eine Soulplatte.

Aretha Franklin ist auch als „Queen of Soul“ bekannt. Ihr Song „Respect“ aus dem Jahr 1967 ist einer der bedeutendsten Soulklassiker und gilt als Hymne der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 05/20.