Die Lage am Morgen
Kolumnist*in:
Fotos/Illustration: Tine Fetz
Es ist der 25. September, meine Zusammenfassung von Google Alerts schlägt mir – wie jeden Tag – auch heute Nachrichten vor über Themen, über die ich benachrichtigt werden möchte. Ich bekomme Pressemeldungen unter anderem mit den Stichworten: Rassismus, NSU 2.0, Feminismus und sexuelle Belästigung. Heute tauchen unter „sexuelle Belästigung“ zwei Nachrichten aus Deutschland und eine aus Frankreich auf.
Ich lese diese Nachrichten nicht als Hobby, sondern weil ich das alles wissen muss. Aber das heißt nicht, dass mich das Ganze kaltlässt.
Die erste Nachricht, die ich an jenem Freitag lese, während ich noch im Bett liege, ist über ein 13-jähriges Kind, das auf dem Nachhauseweg von einem erwachsenen Mann sexuell belästigt wird. Verwendet wird diese passive Formulierung, die nur das Kind sichtbar macht, während der Täter eine absolute Unsichtbarkeit genießt: „Das Kind wird…“
Das Kind wird nicht. Der Täter belästigt.
Das Kind macht nämlich etwas anderes: Es tritt dem erwachsenen Mann zwischen die Beine und rettet sich nach Hause. Das ist natürlich super, aber eine große Ausnahme, in dieser Situation so selbstbewusst und furchtlos handeln zu können.
Warum passiert so etwas? Wenn erwachsene Menschen belästigt oder anderweitig sexualisiert angegriffen werden, wird das oft mit romantischen Interessen verharmlost. Dass sexualisierte Angriffe aber nichts mit Interesse, Zuneigung oder anderen positiven Gefühlen und Absichten zu tun haben, wird spätestens bei Angriffen gegen Kinder klar.
Morgens vor dem ersten Kaffee, Meldungen über sexuelle Belästigung. Ich lese weiter. Der Spiegel berichtet von der Petition von Antonia Quell gegen verbale Belästigung auf der Straße, beziehungsweise für die Bestrafung derer. Das Phänomen wird auch „Catcalling“ genannt, was ich nicht so gerne mag. Ich finde Deutsche wehren sich zu sehr dagegen, die Konzepte hinter Anglizismen zu verstehen. Und da es nicht nur in meinem Interesse ist, zugehört und verstanden zu werden, sondern ich sogar darauf angewiesen bin, verzichte ich so gut es geht auf Fremdwörter. Es geht um verbale und anderweitige sexuelle Belästigung auf der Straße.
Ich bin Fan von Petitionen, das heißt aber natürlich nicht, dass ich jede unterzeichne oder teile. Von dieser Petition erfuhr ich vor wenigen Wochen durch eine Nachricht auf ze.tt. Als Beitragsbild für die Petition einer weißen Studentin hatte ze.tt eine Frau, die nicht weiß ist, genutzt. Die Petition fordert, dass sexuelle Belästigung auf der Straße rechtlich als Straftat anerkannt wird, dass man die Cops anrufen kann, wenn es mal passiert. Dass Frauen, die nicht weiß sind, in Ländern, in denen sie eine Minderheit sind, öfter sexueller Belästigung ausgesetzt sind, während sie gleichzeitig Gewalt- und Rassismuserfahrungen bei der Polizei machen müssen, was für sie ein guter Grund wäre, eben keine Bullen anzurufen, wird nicht nur in der Petition außen vor gelassen, sondern auch in der Berichterstattung von ze.tt. Die nicht-weiße Frau ist also nur auf dem Beitragsbild sichtbar. Als Requisite. Das Bild vermittelt einen rassismuskritischen Anspruch, den es aber nicht gibt. Rassismuskritik ist Arbeit. Sie beansprucht Reflexion, Zeit und Mühe. Eine Bildersuche zu betätigen ist einfacher. Ich fühle mich verarscht.
Ich liege im Bett und vor dem ersten Kaffee lese ich Nachrichten über sexuelle Belästigung, über die ich mich aufrege, die mich teilweise auch verletzen. Wenn ich herunterscrolle kommen die Meldungen zum Stichwort „Rassismus“. Seit Wochen sind hier Nachrichten über die Polizei zu lesen. Überschrift: Rassismus. Darunter jeden Tag Nachrichten über die Polizei. Diese zwei Worte voneinander zu trennen wird nicht einfach sein.
Es ist Teil meiner Arbeit, das alles zu wissen. Aber das heißt nicht, dass mich das Ganze kaltlässt.