Als Kind habe ich mich immer wieder mit männlichen Figuren identifiziert. Z. B. mit Atréju aus dem ersten Film von „Die unendliche Geschichte“ – despite the racist background. Atréju hatte eine fluide Genderperformance inne: Atréju war soft, caring, hatte lange braune Haare und einen regelmäßig entblößten flachen Oberkörper. Und ich mochte Tinky Winky von den Teletubbies. Er (?) war groß und irgendwie männlich konnotiert, aber trotzdem so queer und violett. Sein Gadget (jedes Teletubby hatte einen persönlichen Gegenstand) war eine rote Ledertasche, die ich weiblich las. In meiner Kindheit mochte ich sowohl starke weibliche Figuren als auch fragile männliche Figuren. Mit ihnen konnte ich mich identifizieren. Das war total mein Ding: maskulinierte Weiblichkeit oder effeminierte Männlichkeit. Ich hätte das damals so aber nie zugegeben – geschweige denn überhaupt erkannt.

Aus dieser noch unschuldigen Annäherung resultierte dann eine erschreckende Erkenntnis, als ich 13 Jahre alt war und zum ersten Mal meine Vagina ertastete. Ich lag in der Badewanne und spielte „Inseln“ mit meinen Brüsten. Ich tauchte unter und sah, wie irgendwann mein ganzer Oberkörper unter Wasser lag. Nur meine kleinen Brüste schauten raus. Ich sah zu, wie das Wasser über sie schwappte oder an ihnen randete. Wie sich das Wasser an meine Haut franste, weil mir kalt war und sich eine Gänsehaut über meine heranwachsenden Brüste zog. Ich beobachtete mit Neugier und Lust. Eigentlich wollte ich keine Brüste, aber ich wusste nicht, dass es möglich wäre, keine Brüste zu wollen. Das kam erst sehr viel später. Also sah ich ihnen zu, wie sie sich aus dem Wasser erhoben, aus meinem Oberkörper wülsteten und dachte mir: Ich finde Brüste eigentlich ganz schön. Immerhin kann ich immer meine Brüste anfassen und andere Jungs können das nicht. Ohne es mir einzustehen, wusste ich: Brüste zu sehen und anzufassen, das zieht mich sexuell an.

Umgeben von Badewanne und lauwarmen Wasser führte ich mir erst einen und dann zwei Finger in die Vagina ein. Tief, wie tief das wohl geht? Ist es schädlich, wenn da Wasser mit reinkommt?, fragte ich mich. Vielleicht macht das ja etwas mit den Säften? Mit dem Milieu? Vielleicht kriege ich einen Infekt? Wird nach dem Baden viel Wasser aus meiner Vagina herausfließen?

Sascha Rijkeboer

Sascha hieß nicht immer Sascha. Aber jetzt heißt Sascha so. Sascha kam 1992 in den Niederlanden als Kind eines holländisch/tschechischen Paares zur Welt. Zur Zeit arbeitet Sascha in einer Bar in Basel, setzt sich für queerfeministische Anliegen ein und leistet als non-binäre trans Person Öffentlichkeitsarbeit in unterschiedlichen Kontexten, z. B. schreibt Sascha aktuell Kolumnen für Bajour und das Missy Magazine. Sascha tourt mit einem queer Spoken-Word-Programm in der Deutschschweiz.

Plötzlich stießen meine Finger an eine glitschige runde Oberfläche. An einen großen glitschigen Wurm in mir drin. Ich wusste sofort: Scheiße! In mir drin ist ein Penis! Augenblicklich zog ich meine Finger aus mir heraus. Ich wollte meinen Körper unmittelbar als weiblichen Körper sehen, alles an mir war doch eine normale Frau! Mit mir ist etwas falsch, dachte ich. Und nun habe ich das endgültig herausgefunden. Darum war ich schon immer anders. Wahrscheinlich wissen meine Eltern es schon lange. Es wurden doch sicher Untersuchungen gemacht, als ich ein Baby war.

Für mich wurde klar: Ich war schon immer keine Frau. Aber ich will das nicht wahrhaben! Es ist das Schlimmste, das ich mir vorstellen kann: nicht ins System zu passen, nicht eindeutig zu sein.

Als ich Kärleksvän* davon erzählte, was ich für die nächste Missy-Kolumne schreiben würde, fragte sie mich: „Aber wann hast du denn genau herausgefunden, dass das nicht ein Penis in dir drin war, sondern dein Gebärmutterhals?“ Ich antwortete zuerst: „Ich glaube, als ich 23 war.“ Ich merkte schnell, wie seltsam das klingt. Kärleksvän fand das nämlich auch ziemlich spät. Und bei genauerem Nachdenken wusste ich im Grunde schon früher, dass kein Penis in mir drin war, bzw. habe ich es mir mit jedem Gegenbeispiel, bis zum ersten Ultraschall mit 23, selbst zu beweisen versucht.  Z. B., als ich mit 16 Jahren meine Tage gekriegt habe. Und als dieser Penis mal weiter vorne und mal weiter hinten war. Ich las im Internet, dass sich der Cervix je nach Zyklus verschieben würde. Oder als ich beim ersten penetrativen Sex ein *donk donk donk donk* gegen diesen inneren Penis in meinem Bauchraum spürte und dachte: Das ist, glaube ich, kein Penis. Das kann nicht sein. Und darum habe ich nicht wirklich und doch erst mit 23 begriffen, dass kein Penis in mir drin wächst.

Eigentlich war ich schlichtweg da, um Hormone zu kriegen, als ich mit 23 Jahren zum ersten Mal zu Besuch bei einem Frauenarzt war. Es sei alles mit mir in Ordnung, konstatierte er beim Ultraschall. In meinem Bauchraum sehe alles sehr, sehr weiblich und sehr, sehr in Ordnung aus. Und erst jetzt war ich ein für alle Mal sicher: Dort ist ein Eierstock, da ist ein anderer Eierstock und hier entsteht gerade ein Gelbkörper, weil eine Ovulation stattfand und hier ist eine Gebärmutter und das da ist der Gebärmutterhals. Dieser vermeintliche Penis ist mein Gebärmutterhals. Und wenn die Bluttests auch so sehr in Ordnung wären, wie es der Bauchraum sei, ja, dann könne ich bald sogar Testosteron einnehmen, äußerte der Gynäkologe. Ich akzeptierte erst jetzt umfassend: Mein Körper ist entsprechend aktueller Kategorisierungen ein durch und durch „weiblich funktionierender Körper“. Es ist lediglich meine Geschlechtsidentität, die davon abweicht. Ich bin nicht intergeschlechtlich. Ich weiß nicht, warum ich erst mit 23 zum*zur Frauenärzt*in ging. Ich glaube, dass davor nichts dazu Anlass bot? Dessen ungeachtet hätte ich jedoch um die Beschaffenheit meines Körpers wissen müssen. Denn heute ziehe ich die folgende Schlüsse aus dieser absurden Verwirrung.

Erstens: Die Aufklärung von Menschen mit Uteri ist ungenügend, meine Verwirrung und  meine Ängste sollten keinesfalls durch Selbsterforschung eines normierten Körpers entstehen. Alle Menschen mit Gebärmutterhälsen sollten beim ersten Ertasten wissen können, was es ist, das sie da gerade in sich spüren.

Zweitens: Es gibt aber durchaus nicht-binäre Körper! Und die sind sehr, sehr, sehr richtig so. Es ist absolut toxisch, dass ein Nicht-Hinein-Passen in binär normierte Körper mit so viel Angst, Panik und Scham verbunden wird. Aufklärung sollte also auch dort stattfinden. Intergeschlechtliche Kinder werden noch immer (!) unter dem Vorwand, dass es ihnen damit besser ginge, an eine binäre Norm angepasst. Das ist eine inakzeptabele Gesellschaftspraxis!

Was wir brauchen: eine profunde Aufklärung von früh an, wie unterschiedlich unsere Körper beschaffen sind und was Geschlechtsidentität bedeutet. Es sollte euphorisch aufgezeigt werden, wie verschieden unsere Körper sein können und wie fluide Geschlecht ist und sein darf.

*Kärleksvän= Liebesfreund*in auf Schwedisch