Text: Sibel Schick
Illustration: Tine Fetz

Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, dass Donald Trump die US-Wahl verlieren würde. Aus anderen Ländern wie der Türkei oder Belarus, die von Rechtspopulisten regiert werden, wissen wir, wie schwierig es ist, sie zu entmachten. Während diese Zeilen entstehen, ist die Zählung der Stimmen in den USA zwar noch nicht abgeschlossen, aber der Sieg des Biden-Harris-Duos steht endgültig fest. Die USA haben einen neuen Präsidenten und zum ersten Mal eine Vizepräsidentin.

Bye bye Trump, pack your shit.

In Deutschland nennt man US-Amerikaner:innen abwertend „Amis“, bezeichnet sie als verrückt, dumm, ignorant und, ja, alles Mögliche. Europäer:innen halten sich nämlich für die Überlegenen, die über alle anderen etwas Negatives zu sagen haben. Ballaballa sind immer die anderen. Aber was ist der Unterschied zwischen Biden Welten?

Während die Eilmeldung „Biden gewinnt Präsidentschaftswahl (…)“ mein Telefon zum Vibrieren bringt, fliegt ein Hubschrauber gefühlt die hundertste Runde über meiner Wohnung in Leipzig. Nur wenige Kilometer von meiner Haustür entfernt randalieren die sogenannten Querdenker gemeinsam mit Nazis, verwüsten die Stadt, bewerfen die Polizei mit Gegenständen. Meine Verabredung sagt ab, weil sie Angst hat, ihre Wohnung zu verlassen, während gewalttätige Nazis die Stadt für sich beanspruchen wollen. Ganz Deutschland berichtet im Minutentakt über die US-Wahl, aber nicht von den Nazis in der Leipziger Innenstadt. Die Videos aus Leipzig und den USA tauchen gleichzeitig auf meiner Timeline wie zwei parallele Welten auf. Nazis, die Journalist:innen verprügeln. Menschen, die sich bei Wildfremden auf der Straße bedanken. Corona-Polonaise und „Maskenfrei!“-Rufe. Autokorsos, die das Ende von Trumps Präsidentschaft feiern. Angst und Gewalt in Deutschland, Hoffnungseuphorie in den USA. Ist die Hoffnung der US-Amerikaner:innen in Bezug auf das Wahlergebnis nicht ein wenig übertrieben? Immerhin sind die Biden kein Allheilmittel. Wäre eine dritte Option nicht besser gewesen?

Ja. Wäre es. Hätte, hätte, Fahrradkette. Eine dritte Option gab es eben nicht.

Biden und Harris repräsentieren nicht alle, die sie gewählt haben. Viele haben sie gewählt, weil sie das kleinere Übel sind und damit Trump nicht gewinnt. Die Mobilisierung jener, die mit Biden und Harris zwar nicht zufrieden sind, doch wissen, dass Trump gehen muss, war wichtig, denn Trump bekam diesmal mehr Stimmen als vor vier Jahren. Er hätte also gewinnen können. Trumps Politik dient vielen US-Amerikaner:innen als Ventil für Rassismus und anderweitige Menschenfeindlichkeit, sodass tätliche Angriffe zur alltäglichen Realität geworden sind. Diese Menschen, die von Trump ermächtigt wurden, im Alltag rassistisch zu handeln, wird man nicht los, man kann sie nicht über Nacht umerziehen und von Gleichberechtigung überzeugen. Eine Amtszeit kann große Schäden einrichten, diese rückgängig zu machen kann länger dauern. Harte Zeiten stehen bevor.

Biden sagt es auch selbst: Seine Amtszeit soll als Übergang dienen. Es ist an der Zeit, anzufangen, die Destruktion der vierjährigen Trump-Ära ein Stück rückgängig zu machen. Die zivile Opposition in den USA muss wachsam bleiben und den neuen Präsidenten und seinen Vize kritisch mit ständigen Interventionen begleiten. Das weiß die US-Zivilgesellschaft allerdings schon und braucht keine Ratschläge aus Europa. Wir sollten lieber zuerst vor unserer eigenen Tür kehren.

Hier hieß es vor vier Jahren oft, dass Trump nicht viel Schaden anrichten könne, weil ihn ohnehin niemand als Präsidenten ernst nehmen würde. Am Ende stellte sich das als Unsinn heraus, Trump prägte nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und Deutschland rechtsextreme Figuren und Bewegungen, die stärker und furchtloser handeln. Dieselbe Verharmlosung führte dazu, dass die AfD ihre Ergebnisse in beinahe jeder Wahl verbessern konnte. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft muss ihr Gefühl der Überlegenheit ablegen, sie kann es sich nämlich nicht leisten, Rechtspopulist:innen auf unfähige, ungefährliche Witzfiguren zu reduzieren. Die Gefahr, die von ihnen ausgeht, ist real und sie stehen 2021 zur Bundestagswahl. Es ist nicht die Zeit, sich entspannt zurückzulehnen und zu hoffen, dass alles von alleine gut läuft. Das wird es nämlich nicht. Zumal nicht alle dieses Risiko eingehen können, denn manchen geht es um Leben und Tod. Es ist jetzt die Zeit für Deutschland, aus eigenen Erfahrungen und denen anderer zu lernen und zu handeln, und zwar mit ständigen Einordnungen, kritischen Interventionen, konsequenten Reaktionen und klaren Worten.