Von Kunst und Hühnern
Von Ulla Heinrich
Text: Ulla Heinrich, Sarah Ulrich
Foto: Dana Lorenz
Der erste Ausstellung unter eurer Leitung habt ihr den Titel “Enttäuschung” gegeben. Worüber seid ihr gerade enttäuscht?
AJ: Wir haben das Thema des Ausstellungs- und Vermittlungsprogramms vor der Covid-19-Pandemie konzipiert, heute nennen wir das selbst “unfreiwilliges Trendsetting”. Wir beziehen uns auf wiederkehrende strukturelle Enttäuschungen wie z.B. politische Backlashes oder erstarkender Rechtspopulismus. Wir haben uns gefragt: Kann man überhaupt individuell enttäuscht sein oder ist man nicht immer kollektiv, im Spiegel der Gesellschaft, enttäuscht?
JS: Bei allen politischen Verwerfungen bezieht sich meine individuelle Enttäuschung auch immer wieder auf meine eigenen politische Haltung innerhalb des Arbeitsprozesses. Es ist herausfordernd, ein Programm aufzustellen, welches die Strukturen des Kulturbetriebs hinterfragt und sich mit den strukturellen Realitäten außerhalb des Kulturbetriebs deckt. Wir müssen viele Kämpfe erst einmal selbst kämpfen, bevor wir diese Positionen in eine andere Öffentlichkeit tragen.
Sozusagen konstante Selbstreflexion als Leitungsstil?
AJ: Die Themen an denen wir arbeiten sind alle gesellschaftspolitisch motiviert und haben immer etwas damit zu tun, was außerhalb des Museums passiert. Wir beide haben nun zum ersten mal die Möglichkeit uns über einen längeren Zeitraum eine städtische Institution von innen anzuschauen. Fragen der Vermittlung und Barrierefreiheit sind grundlegend für unsere Arbeit und nicht zu lösen von den Themen, die wir oder unsere Künstler:innen bearbeiten.
Was haben Hühner mit Enttäuschung zu tun?
AJ: Die Hühner sind Teil der Arbeit “Crisis Communication” von Rosalie Schweiker. Eigentlich wollten wir einen Garten der Bürokratie errichten, aber dann kam Covid. Rosalie Schweiker wollte keine klassische Einzelausstellung machen. Sie hat andere Künstler:innen und Kulturproduzent:innen eingeladen, ihr Honorar geteilt und Beiträge kollektiv erarbeitet. Die Frage war: Wie kann man trotz der Pandemie innerhalb der Kulturproduktion solidarisch miteinander sein? Die Hühner in unserem Hof sind eine Art eigene Gesellschaft, die wir beobachten können. Gleichzeitig produzieren sie Eier für die Nachbar:innen und Besucher:innen – wir geben also etwas zurück. Die Hühner stehen auch für eine Neuformierung in der Kunsthalle, für eine andere Art der Arbeitsteilung.
Da steckt auch feministische Selbstironie drin, da kommen zwei neue Leiterinnen und bringen Hühner mit…
JS: Ja, das Jahresthema “Enttäuschung” ist auch ein Augenzwinkern. Im ursprünglichen Wortsinn hat es eine positive Konnotation, denn man wird einer Täuschung gewahr. Im Grunde genommen nimmt man eine neue Perspektive zu etwas ein und ein Neuanfang wird möglich. Humor spielt in unserer Arbeit genauso eine Rolle wie das Bedürfnis, ästhetische oder soziale Raumvorstellungen umzudeuten. Deswegen sind wir auch hier. Wir wollen ja jetzt hier nicht nur Buchhaltung machen.
Worin seht ihr die Stärke als Zweier-Team die Direktor:*innenstelle zu besetzen?
AJ: Wir verstehen das als eine Grundvoraussetzung für unsere Arbeit, um Mehrstimmigkeit zuzulassen. Wir sind unser gegenseitiges Korrektiv und nehmen das als Ausgangspunkt, um noch mehr Leute in das Gespräch mit einzubinden. So ein Programm macht sich ja mit ganz vielen Menschen, auch wir zu zweit machen es nicht alleine.
Eine Kunsthalle zu leiten klingt nach verlockend viel Spielraum, um eigene Vorstellungen umzusetzen. Was ist auch schwierig daran?
AJ: Wir arbeiten in einer städtischen Verwaltungsstruktur. Es gibt relativ viele Regeln, an die wir uns zu halten haben und die wir bürokratisch erfüllen müssen. Das ist etwas, das mich auch belastet, wenn man wie ich aus einer anderen Realität kommt. Gleichzeitig haben wir als Leitung auch eine Verantwortung für unser Team. Die Strukturen können durch uns aber auch nachhaltig verändert werden. Das anzugehen, die Hürden zu überspringen und den langen Atem zu haben, das ist unser Ziel.
JS: Wir haben die Chance, die Dinge anders zu machen, als wir sie erlebt haben. Wir kennen auch Arbeitsverhältnisse, in denen wir weit niedriger in der klassischen hierarchischen Rangordnung positioniert waren und ich finde es wichtig, dass wir die gemachten Erfahrungen nicht vergessen, sonder vielmehr nutzen, umneue Kommunikations– und Anerkennungsprozesse für unser Thema zu entwickeln.
Welche Erfahrungen macht ihr dabei spezifisch als Frauen? Welche Reaktionen bekommt ihr?
AJ: Das sind die gleichen Kämpfe und Probleme wie überall. Der Kunst- und Kulturbetrieb ist dabei keine Ausnahme.
Ihr setzt in euren Programmtexten und auf eurer Webseite auf einfache Sprache. Wieso ist dies in der Kunstwelt ein eher ungewöhnlicher Schritt?
JS: Weil die Autor:innen von Texten in der Kulturproduktion oft aus der Theorie kommen. Da sind auch viele Normvorstellungen und Eitelkeiten an das Medium Text geknüpft. Es steht seltener die Informationsfunktion institutioneller Texte im Vordergrund als der eigene Wissenschaftsanspruch als Kurator:innen. Auch für uns selbst war und ist das eine neue Erfahrung, alle Texte in einfacher Sprache zu veröffentlichen. Die Texte, die wir selbst als Kuratorinnen schreiben, verschwinden ja sozusagen in der Schublade nach der Übersetzung. Mit einfacher Sprache zu arbeiten, ist eine enorme Bereicherung und ermöglicht uns darüber nachzudenken, was Klarheit und Vermittlungsinteresse eigentlich bedeutet.
AJ: Wir empfinden es als demokratisierendes Moment, dass alle institutionellen Texte im Print und auf der Webseite ausschließlich in einfacher Sprache zu lesen sind. Statistisch verstanden 45% der Bevölkerung kuratorische Texte, Texte in einfacher Sprache verstehen dagegen 85%. Das sind doch Zahlen, an denen können wir nicht vorbei. Zusätzlich ist es uns wichtig, unterschiedliche Angebote des Einstiegs ins Ausstellungsprogramm zu schaffen. Neben Flyer und Raumplan in einfacher Sprache, erscheint jährlich ein Reader zum Jahresthema mit Texten von Künstler:innen, Autor:innen und Theoretiker:innen. Diese Texte sind autor:innengebunden und werden nicht in einfache Sprache übersetzt.
Was ist eure Perspektive auf die Besucher:innen eurer Ausstellungen? Wen wünscht ihr euch in der Kunsthalle unter eurer Leitung?
AJ: Es gibt natürlich ein Stammpublikum. Das wollen wir auch gerne halten und in Kontakt bleiben. Gleichzeitig wünschen wir uns natürlich, dass die Kunsthalle attraktiver für ein jüngeres und diverses Publikum wird. Wir glauben, dass das über die Inhalte, Ansprache und Gestaltung passieren kann.
JS: Gleichzeitigwünschen wir uns auch ein Publikum, das sich erst einmal nicht für Kunst interessiert. So haben wir auch die Jahresthemen aufgebaut. Bei einem Jahresthema wie “Enttäuschung” sind Inhalt und Assoziationen genauso bedeutend wie die künstlerischen Positionen. Es können genauso Leute kommen, die denken: Enttäuschung ist mein Thema 2020. Aber auch Leute, die über die deutsch-deutsche Geschichte enttäuscht sind. Im Haus selbst steht die Autonomie der Kunst natürlich im Vordergrund. Die Vermittlung passiert auf anderen Ebenen. Wir wünschen uns, ein Ort für Diskussionen zu sein, aber an der Auseinandersetzung mit der Kunst kommt man am Ende nicht vorbei.