Interview: Çiğdem Akyol
Fotos: Paul Niedermayer

 Hengameh, in deinem Romandebüt ist die bedingungslose Liebe zwischen den zwei Schwestern Nas und Nushin eines der Hauptmotive. „Dass Liebe nicht wehtun muss, weiß ich schon, aber ich kenne keine Liebe ohne Schmerz“, sagt Nas. Warum lässt du deine Protagonistin so an der Liebe leiden?
Natürlich muss Liebe nicht schmerzhaft sein. Aber dass Liebe einen Leidensdruck haben muss, ist auch eine Denke, die viele Menschen durch Popkultur internalisieren. In Filmen, Serien oder Musik verschwimmt häufig die Grenze zwischen Liebe und Missbrauch. Das Framing ist dann so: Die Person verhält sich nur so schädlich dir gegenüber, weil sie dich liebt. Das gilt eigentlich für alle Formen der Liebe, ob romantisch, platonisch oder zwischen Familienmitgliedern.

Warum ist die Erzählung über eine Geschwisterliebe so wichtig für dich?
Wenn über platonische Liebe geschrieben wird, dann entspricht das oft heteronormativen Vorstellungen, etwa der Liebe zwischen Eltern und Kindern. Es geht nicht so oft um Geschwisterliebe. Ich hatte von Roxane Gay eine Kurzgeschichte gelesen, in der zwei gemeinsam gekidnappte Schwestern Missbrauch erfahren und durch diese gemeinsame geteilte Erfahrung eine besondere Verbindung haben, das wollte ich weiter erforschen. Wenn eine Person dich durch alle Lebensphasen begleitet und unterstützt, wird sie eine

Konstante im Leben. Sie gibt Halt und versteht dich besser als alle anderen Menschen. Sehr nahe Beziehungen können symbiotisch werden. Doch was passiert, wenn die Person auf einmal weg ist – ob durch Trennung oder Tod ist erst mal egal – und plötzlich das Selbstbild ins Wanken gerät?

Wie hast du deine Hauptfigur Nas, die nach dem Tod ihrer Schwester deren Tochter Parvin aufnimmt, entwickelt?
Beim Schwimmen dachte ich über Queerness und Kinderlosigkeit nach. Bei einer Figur, die überhaupt keinen Lifestyle für Kinder hat – weil sie keinen Bock auf Kinder hat, im Nachtleben arbeitet und keine stabilen Beziehungen hat –, wie ist es, wenn diese Person dann plötzlich die Vormundschaft für ein Kind bekommt? Mir war es wichtig, dass meine Protagonistin kompromisslos ist, egoistisch ihr Ding durchzieht. Aber gleichzeitig ist sie auch caring, weil sie ihre Schwester über alles liebt – und weil die Tochter der Schwester das Einzige ist, was bleibt, möchte sie auch irgendwie V…