Die Mittäterinnenschaft
Von
Text: Sibel Schick
Illustration: EL BOUM
Ich sehe den Titel „Frauen-Zoff um Friedrich Merz“ der „Bild“-Zeitung und fange an zu lachen. Nicht innerlich, sondern laut. Ich stelle mir vor, wie er entstanden sein muss: Zwei weiße cis-hetero „Bild“-Journalisten, ausgestattet mit der für den Job zwingend notwendigen Teflon-Persönlichkeit, stehen in der Redaktion und brainstormen über Überschriften. Es soll um die Auseinandersetzung der CDU-Frauen über die Merz-Kandidatur gehen. Sobald sie auf „Frauen-Zoff“ kommen, machen sie Katzengeräusche, fauchen und jaulen und lachen sich kaputt. Geil, Alter. Wer die Amazon-Doku über die „Bild“-Zeitung sah, weiß, wieso ich diese Bilder im Kopf habe. Vielleicht ist es ja wirklich so gelaufen? Gut möglich.
Schon wieder, denke ich bei der Aktion „Wir Frauen für Merz“, bürgt eine diskriminierte Gruppe für jemanden, der seine Aufrichtigkeit nicht durch eigene Taten, sondern über die bloße Anwesenheit ebenjener diskriminierten Gruppe beweisen will. Das ist eine gewaltvolle Strategie, denn diese Frauen werden durch ihre öffentliche Unterstützung für Merz ja nicht plötzlich und magisch immun gegen Diskriminierung. Ganz im Gegenteil funktioniert die Strategie, weil sie diskriminiert werden. D. h., sobald sie nicht mehr diskriminiert werden, funktioniert diese Art von Bürgen nicht mehr. D. h. wiederum, dass durch diese Methode Menschen wie Merz de facto von der Diskriminierung, die Frauen betrifft, profitieren, und es deshalb nötig haben, dass sie diskriminiert bleiben. Dabei sind Frauen unter sich nicht gleichgestellt. Eine weiße cis Frau aus dem Mittelstand kann eine mehrfach marginalisierte Frau, die z. B. arm, nicht-weiß oder transgeschlechtlich ist, diskriminieren. Das wird ausgeblendet.
Natürlich sind diese Frauen, die Merz unterstützen, sehr wohl zurechnungsfähig und wissen genau, was sie tun, und das ist die andere Seite der Medaille: Eine diskriminierte Gruppe, die in der gesellschaftlichen Gewaltpyramide nicht ganz unten steht, d. h. über gewisse Privilegien verfügt, z. B. weiße, christlich sozialisierte cis Frauen, strebt nach mehr Macht, und zwar genauso viel wie weiße, christlich sozialisierte cis Männer. Also kooperieren sie mit ihnen. Dafür instrumentalisieren sie die eigene Diskriminierung als Frau, die hier als Merkmal für mehr Gewicht und Glaubwürdigkeit dienen soll. Nach dem Motto: Wenn wir als Frauen für ihn bürgen, kann man seine Integrität nicht infrage stellen.
In diesem Text geht es nicht um Merz und die CDU. Es ist ziemlich egal, wer die CDU führt – alle drei Kandidaten, die zur Wahl standen, repräsentierten minimal unterschiedliche Versionen derselben Politik: christlich, konservativ, rechts, neoliberal.
Der Überraschungs- und Sensationseffekt, der erzeugt wird, sobald Frauen öffentlich Männer unterstützen, die als frauenfeindliche Machos auffallen, ist unbegründet. Frauen sind nicht die besseren Menschen, sonst gäbe es keine Beate Zschäpe oder Alice Weidel. Sobald man sich auf die Unterstützerinnen konzentriert, erfolgt eine Diskursverschiebung: Die Debatte dreht sich kaum noch um die konkreten Handlungen der betreffenden Machos. Es geht nur noch um die Unterstützung. So wird eines der wichtigsten Ziele dieser Entgleisungsmanöver bzw. der Mittäterinnenschaft erreicht: vom Sachverhalt abzulenken, um die Privilegien des betreffenden Mannes zu schützen.
Das war auch das Ziel des offenen Briefs von über hundert Französinnen um Catherine Deneuve 2018 gegen die #MeToo-Bewegung. Es handelte sich um Frauen, die sich nicht mit ihren Türstehern anlegen und ausgeschlossen werden wollten. Wenn sie zumindest einem Teil der Frauen, um deren Gewalterfahrungen es ging, strukturell gleichgestellt waren, stiegen sie ab dem Zeitpunkt auf und standen über ihnen. So funktioniert das: Anstatt gemeinsam gegen die Machtverhältnisse zu kämpfen, kämpfen bestimmte Frauen für mehr Macht für sich und profitieren von gewaltvollen Strukturen.
Es wird oft ironisch gesagt, dass Frauen heutzutage alles sein können: Ärztinnen, Politikerinnen, Architektinnen … Unironisch sollten wir mehr darüber reden, dass nicht alle Frauen gleichgestellt sind, dass auch unter Frauen Machtasymmetrien bestehen. Dass auch sie rassistisch, antisemitisch, ableistisch bzw. behindertenfeindlich, transfeindlich und somit antifeministisch sein können. Frauen sind nicht frei von Widersprüchen, sie sind nicht die besseren Menschen, sie können Faschistinnen sein, sie können gewalttätig sein. Es ist an der Zeit, aufzuhören so zu tun, als könnten Frauen das alles von Natur aus nicht, einfach weil sie Frauen sind, als seien Frauen, die diskriminieren, bloß eine Anomalie. Das untermauert Geschlechterrollen und macht die Gewalt, die von Frauen ausgeht, unsichtbar. Es ist an der Zeit, die eigene Rolle innerhalb gewaltvoller Strukturen zu hinterfragen. Es ist an der Zeit, aufzuhören, von unten nach oben Solidarität einzufordern, um weiter aufzusteigen. Es ist an der Zeit, zu diskutieren, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, und vor allem: in welcher Gesellschaft wir überleben können. Für manche Frauen geht es nämlich um Leben und Tod.