Text: Jena Samura
Foto: Jena Samura

Global leiden rund 350 Million Menschen an einer Depression. Damit ist es die am meisten verbreitete mentale Erkrankung, direkt gefolgt von Angststörungen. Einen Therapieplatz zu bekommen und eine*n Therapeut*in zu finden, die gute Betreuung leisten, kann extrem belastend sein. Häufig ist sie Suche so langwierig und erschöpfend, dass Betroffene aufgeben. Ein Zugang zu Therapie und psychologischen Angeboten zu bekommen, ist für queere BIPoC häufig zusätzlich erschwert, vor allem wenn sie migrantisch sind – sei es durch bürokratische Hürden, weiße Fragilität von Psycholog*innen oder durch die Pathologisierung von Queerness und trans Identitäten. Das Londoner Mental Health Kollektiv MISERY versucht durch Community orientierte Veranstaltungen ein Angebot zu schaffen und Menschen, mit verschiedenen mentalen Erkrankungen zu vernetzen. Dazu gehören Workshops zu unterschiedlichsten Mental Health Themen, Peer-to-Peer Beratung und Partys. Yasmin Ali ist seit einem Jahr Teil des Kollektivs und sieht in MISERY eine Möglichkeit für queere, trans und nicht-binäre BIPoC zu heilen. Wir haben darüber gesprochen was genau MISERY ausmacht und was Yasmin über den Umgang mit Mental Health selbst gelernt hat.

Warum ist Mental Health ein so zentrales Thema für dich?
In meiner Kindheit und Jugend habe ich für mich, als muslimische, migrantische Person wenig Repräsentation von Queerness gesehen. Die Medien porträtierten lediglich weiße schwule cis-Männer. Meine kulturelle und queere Identität zu kombinieren fühlte sich für mich nicht sicher an. Ich dachte lange, dass irgendwas mit mir nicht stimmt. Da ich keine Bollywood Desi Prinzessin sein wollte, hatte ich sehr mit meinem Selbst zu kämpfen.

Wie hast du den Zugang zu therapeutischen Angeboten gefunden?
Therapie war für mich immer so ein weiße Leute Ding. In meiner migrantischen Familie war kein Raum für Gespräche über psychische Belastung. Wenn deine Eltern drei Jobs gleichzeitig haben, um genug Geld zu verdienen, dann können sie sich nicht fragen, ob sie die Kraft haben um sechs Uhr morgens aufzustehen oder nicht, weil sie depressiv sind. Sie müssen es einfach tun.  Meine Mutter war der Meinung, dass wir negative Gedanken einfach weg beten können. Für mich hat das nicht funktioniert. Als Teenager ging ich dann zu einer weißen Psychologin bei uns im Ort. Und ganz ehrlich: weiße Therapie hat mich kaputt gemacht.

Kannst du das genauer erklären?
Der Grund warum ich so eine große Traurigkeit empfunden habe, war nicht mein migrantischer Background oder meine Geschlechtsidentität. Der Grund war das Navigieren meines alltäglichen Lebens als Desi gender-non-conforming Person in einer weißen cis-sexistisch patriarchalen Gesellschaft. Der Grund war die physischen und psychischen Attacken, denen ich jeden Tag ausgesetzt war. Alleine zu existieren bedeutet manchmal so viel Stress.  Die Herangehensweise meiner weißen Therapeutin war sehr schädlich für mich. Ich musste mich während der Therapie teilweise verstecken, oder anders kommunizieren, um nicht die Vorurteile meiner Therapeutin zu bestätigen.

Du bist aktuell wieder in Therapie, wie ist deine Erfahrung jetzt?
Ich habe einen Therapeuten gefunden, der ebenfalls aus einer bangladeshi Familie kommt und genderqueer ist. Ich konnte ihm sofort vertrauen. Mein Therapeut bestätigt mich, wenn ich über Rassismus, Ungleichheit und binäre Geschlechtervorstellungen rede. Er negiert meine Erfahrung nicht und vermittelt mir, das meine Gefühle valide sind. Allerdings habe ich manchmal Schuldgefühle weil ich weiß, wie schwierig es für queere, trans und nicht-binäre BIPoC ist passende Therapieplätze zu finden. Dann denke ich, dass ich einer Person, die gerade einen höheren Leidensdruck hat, den Platz wegnehme.

Mit MISERY schaffst auch du Räume, in denen QTI*BIPoC sich über Mental Health austauschen können. Was macht MISERY genau?
Es gibt ein großes Defizit an Mental Health Angeboten für queere, trans und nicht-binäre BIPoC. Die einzigen Austauschorte sind bisher Social Media Plattformen. Wir brauchen aber auch ein offline Angebot. Die*der Aktivist*in Aisha Mirza hat dies letztes Jahr zum Anlass genommen, um MISERY zu starten. MISERY ist primär die Drogen und Alkohol freie Partyreihe „Deprecious“. Der Zugang ist lediglich für queere BIPoC. Auf den Partys gibt es verschiedene Möglichkeiten für einen Abend den Stress der eigenen Existierenz hinter sich zu lassen: von Tanzen und Musik, über Maniküre und Bastelecken bis hin zu Ruheräumen. Wir können zusammenkommen und einfach sein. Unsere Policy ist “come as you are”. Bring deine Anxiety mit, deinen Schlafmangel, deine Hyperaktivität. Als ich das erste Mal zu „Deprecious“ gegangen bin, war ich tief in einer depressiven Episode. Ich bin allein hingegangen und das war eine große Herausforderung für mich. Doch als ich den Raum betreten habe, konnte ich das erste Mal seit einer langen Zeit endlich atmen.

Wie habt ihr als Kollektiv auf die Veränderungen durch die Corona Pandemie reagiert?Aktuell findet jeden letzten Dienstag im Monat die Veranstaltungsreihe MISERY MEETS via Zoom statt. Es gibt bei jedem Treffen ein anderes Thema, zum Beispiel BDSM/Kink, Trauer und zuletzt Familie. Unser kollektiveigener Psychologe beginnt jede Sitzung mit einer einstündigen Gesprächsrunde zum Thema, bei der alle ihre Gedanken und Gefühle teilen können und danach findet ein zweistündiger Workshop statt. Diesen Monat war es eine Übung zur Selbst-Affirmation. Der Vorteil der Online Sitzungen ist, dass Menschen von überall teilnehmen können. So wächst unsere Community und wir wissen, wie es unseren Geschwistern in anderen Ländern ergeht. Einige Teilnehmer*innen würden bei physischen Treffen auch nicht teilnehmen, da sie dazu das Haus verlassen müssten. Online Treffen ermöglichen ihnen den Zugang.

Welche Ziele verfolgt ihr mit MISERY?
Wir möchten, dass QTI*BIPoC wissen, dass sie nicht alleine sind in dieser weißen Gesellschaft. Wir schaffen einen Community Space, in dem wir sicher sein können. Solange das Therapieangebot uns mehr traumatisiert, als wir bereits sind, können wir gemeinsam heilen und Strategien entwickeln, um uns gegenseitig zu stärken