Text: Christian Schmacht
Illustration: EL BOUM

Im Sommer 2020, als mehr Leute denn je die Black-Lives-Matter-Bewegung kennenlernten und sich mit Polizeikritik auseinandersetzten, benannte Angela Davis die Rolle von trans Aktivist*innen in der Debatte um staatliche und gesellschaftliche Kontrollinstanzen: „I don’t think we would be where we are today – encouraging ever larger numbers of people to think within an abolitionist frame – had not the trans community taught us that it is possible to effectively challenge that which is considered the very foundation of our sense of normalcy.“

Trans ist der Ausbruch aus einem Gefängnis, in das wir alle direkt nach der Geburt gesteckt werden. Es ist die Transformation an sich. Nicht nur der eigenen Umstände, des eigenen Körpers oder des eigenen Blicks. Die Tatsache, dass ich nicht so bin, wie alle dachten, impliziert, dass auch andere nicht so sind, wie alle dachten. Dass nichts so ist wie gedacht.

Paul B. Preciado beschreibt in seinem Buch „Testo Junkie“, wie die Ozeane, die wir heute kennen, lange vor der Menschheit durch einen Meteoriteneinschlag verdampft sind. Über Tausende Jahre hinweg regnete es, bis sie wieder gefüllt waren. „I tell myself, that if the oceans could dry up and then refill, my heart as well can purge itself of politics and be filled again.“

Trans zu sein heißt, etwas zu sein, das nicht sein darf, weil es nicht normal ist. Es heißt, hässlich zu sein. Es heißt, verrückt gemacht werden, als verrückt zu gelten und sich selbst zu ver_rücken. Es heißt, normal sein zu wollen um jeden Preis. Normal zu werden und dafür teuer zu bezahlen. Oder an der Unnormalität des Selbst zu verbittern und vielleicht sogar zu sterben. Dazugehören wollen und es doch nicht können. Entwurzelt sein, denn niemand ist wie mensch oder besser: wie trans selbst. Weder Vater noch Mutter, weder Bruder noch Schwester. Weder Onkel noch Tante, weder Pfarrer noch Lehrerin. Keine Familie. Stattdessen eine weltumspannende Familie, die dysfunktional und voller Selbsthass ist. In der selbst die Großzügigsten unter uns sich dabei erwischen, wie sie den*die andere*n anblicken und erschrocken denken: Bin ich etwa auch so?

Und es ist ein Schreck. Die Transformation der ganzen Welt, die sich einsam am eigenen Körper abspielt, ist erschreckend. Gleichzeitig sind unsere Körper ein Labyrinth, aus dem wir nicht herausfinden, in das aber jede*r hinein will.

„Politics does not interest the whore, it is the whore“, steht in dem Büchlein „Be gay do crime“ von 2018. Neulich sprach ich mit einer Sexarbeiterin darüber, wie sehr wir beide das Ackern vermissen. In meinem Fall vermisse ich besonders die Arbeit im Bordell. Ich vermisse neben vielen anderen kleinen und großen Sachen auch die Gender Affirmation, die in der Sexarbeit passiert. Denn Sexarbeit ist gegendert und ein Verkauf von gegenderter Dienstleistung. Die Performance, das Gendern des eigenen Körpers vor, während und nach dem Sex ist elementar. Die Gender, die wir verkörpern, sind unterschiedlich, aber ohne geht es nicht. Du kannst kein abwesendes Geschlecht verkaufen. Und diese Gender sind auf die Beziehung zum*zur Kund*in ausgelegt, das heißt, im Kontakt mit ihm*ihr werden sie sofort gefeedbackt. In meinem Alltag, das heißt aktuell vor allem im engsten Freund*innenkreis oder draußen, als Teil einer anonymen Menge, erlebe ich mich als ungegendert. Ich werde als trans Mann, als trans Mensch, als Femme, als queere Person kaum affirmiert. Also kaum gesehen, kaum erkannt, kaum bestätigt. In unserer Gesellschaft ist Menschsein, als Mensch bzw. Person (an-)erkannt werden, eng daran geknüpft, gegendert zu werden, also ein Geschlecht zu haben.

Und in diesem Gespräch mit meiner Freundin, die auch die Sexwork vermisste, kam ich darauf: Was ich vermisse, ist ein Gefühl, ein Affekt – als Mensch, der ein Geschlecht hat, gesehen und bestätigt zu werden.

Manchmal werden meine Texte missverstanden. Leute reagieren sehr wütend, wenn ich etwas, das sie selbst schrecklich finden, ohne schreckliches Vokabular beschreibe. Doch wenn ich über meine Gefühle schreibe, ist das noch lange keine Bewertung. Finde ich das gut oder hilfreich oder radikal, diese Gefühle zu haben? Das ist nicht die Frage. Ich halte es für hilfreich und radikal, sie zu benennen. Ich halte es für gut, sie aus den Mauern des Unbewussten zu befreien und zu betrachten.

Die rechtliche und mediale Situation für trans Personen hat sich geändert. Wir sind manchmal sichtbar, ab und zu haben wir Rechte. Manchen von uns wird die Einhegung angeboten. Dann dürfen wir ein kleines bisschen zur Norm gehören. Normalsein ist Menschsein. Seit Neuestem kann es bei einem Polizeieinsatz vorkommen, dass Leute, deren Geschlechtseintrag „divers“ lautet, respektvoll gefragt werden, ob sie von einem Polizist oder von einer Polizistin durchsucht werden möchten. (Cops, die ebenfalls den Eintrag „divers“ haben, sind selten verfügbar, doch ich bin mir sicher, es gibt sie!) Neben dem Ausweisdokument und weiteren Privilegien braucht es hier den Willen, an der eigenen Repression mitarbeiten zu wollen. Wie schön, dass trans sich aussuchen darf, durch wen genau trans policed werden möchte. Möchten Sie von einem Mann, von einer Frau oder von einer „diversen“ Person durchsucht, festgenommen, verschleppt, geschlagen und eingesperrt werden? Ich möchte, wenn ich ganz ehrlich sein darf, am liebsten gar nicht durchsucht, festgenommen, verschleppt, geschlagen und eingesperrt werden …

Schon vor zehn Jahren beschrieb Dean Spade in „Captive Genders“: „If they build it, they will fill it.“ Sobald ein Gefängnis für trans Personen gebaut wird, dann wird das Gefängnis auch mit trans Personen gefüllt werden. Es gilt, die metaphorischen und buchstäblichen Gefängnisse aufzuspüren und niederzubrennen, anstatt immer wieder neue zu bauen.