Von Sonja Eismann

Fern (Frances McDormand) ist sechzig und hat fast nichts mehr: Job verloren, Mann gestorben und die kleine Stadt in Nevada, die mit ihrer Mine ihre Familie jahrzehntelang ernährt hat, existiert nach deren Schließung nicht mehr. Also gibt sie alles weg und setzt sich in ihren Van. Sie sucht und findet Arbeit in einem Amazon- Warenlager, auf einem Campingplatz, in einem Themenpark in den Badlands oder bei einem Steinverkaufsstand. Sie ist allein in ihrem notdürftig zum Wohnmobil umgebauten Auto, trifft aber immer wieder Menschen wie sich selbst, die sich solidarisch zeigen. Doch irgendwann ist ihr Fahrzeug kaputt und sie kann die 2.300 Dollar für die Reparatur nicht auftreiben. Zähneknirschend macht sie sich auf den Weg zu ihrer entfremdeten Schwester, deren Leben in einem komfortablen Haus völlig konträr zu ihrem eigenen ist.
Das Amerika in Chloé Zhaos drittem Film, der 2020 in Venedig den Goldenen Löwen gewann, ist riesig, weit und offen – und damit genau das Gegenteil von den meisten Lebensstilen in der Pandemie, die dem Inneren beengter Vans gleichen.

Missy Magazine 02/21, Filmaufmacher
© SEARCHLIGHT PICTURES

Lose basierend auf dem gleichnamigen Buch der Journalistin Jessica Bruder − die über das Post- Finanzmarktkrisen-Phänomen verarmter, meist älterer Menschen schrieb, die in ihren Bullies auf der Suche nach Arbeit von Campingplatz zu Campingplatz ziehen − hat Zhao mit beeindruckenden, sich selbst spielenden Laiendarsteller*innen und einer völlig uneitel gealterten Frances McDormand gedreht. Doch wo bei Bruder die inhumanen Arbeitsbedingungen von Arbeitgebern wie Amazon im Fokus stehen, die ein Geschäftsmodell daraus gemacht haben, umherziehenden Menschen einen schlecht bezahlten Job plus Campingwagenstellplatz anzubieten, interessiert Zhao der uramerikanische Pioniergedanke mehr. Wenn Marginalisierte auf Campingplätzen begeistert dem auch in echt existierenden Prediger „against the tyranny of the dollar“ Bob Wells lauschen, kommt ein Gefühl von rebellischer Gemeinschaft auf. Doch viel zu schnell verliert sich der Film wieder in poetischen Oden an die individualistische Freiheit. Auch wenn die Bilder so spröde wie atemberaubend schön sind und die in ihrem Van fast erfrierende Fern nicht für eine übertriebene Romantisierung steht, scheint der Film zu flüstern: Resilienz und Eigenverantwortung, und du wirst am Ende glücklich werden. Der amerikanische Traum muss so krisenresistent sein wie der Kapitalismus.

Nomadland USA 2020. Regie: Chloé Zhao. Mit: Frances McDormand, Linda May, David Strathairn u.°a., 108°Min., Start: 08.04.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 02/21.