Legitime Gewalt
Von
Interview: Daniele Daude
Im Oktober 2020 wurde mit der ,,Selbstverteidigung. Eine Philosophie der Gewalt“ ein Werk der Philosophin Elsa Dorlin erstmalig ins Deutsche übersetzt. Für eine der bedeutendsten Philosoph*innen Frankreichs war diese Übersetzung längst überfällig. In ihrer Arbeit stützt Dorlin sich auf Denker*innen wie W.E.B. Du Bois, Frantz Fanon oder Theorien des Schwarzen Feminismus – dessen Grundtexte sie 2008 ins Französische übersetzte. Mit „Selbstverteidigung“ liefert Dorlin zwei historische Überblicke: über die Legitimation von Staatsgewalt wie auch über die Widerstandstrategien, die gegen sie entwickelt wurden.
Elsa Dorlin, wieso haben Sie Gewalt und Selbstverteidigung zu Ihrem Thema gemacht?
Um „Selbstverteidigung“ zu schreiben, brauchte ich sieben Jahre. Ich wollte zunächst über afroamerikanische und karibische Philosophien schreiben, denn ich hatte damit bereits in meinen Untersuchungen zur Moderne gearbeitet. Indem ich mich aber weiter mit
Schwarzem Feminismus beschäftigte – vor allem mit Audre Lorde und June Jordan, deren Arbeit ich leidenschaftlich liebe, sowie mit W.E.B. Du Bois, Frantz Fanon und Denker*innen der Harlem Renaissance –, kristallisierte sich etwas heraus, das ich sehr interessant fand. Denn es tauchten immer wieder die Fragen der Selbstverteidigung des eigenen Lebens, der Selbstverteidigung des Selbst und der defensiven Gewalt auf. Ich wollte auch zu Gewalt arbeiten, denn sie war und ist noch immer überall spürbar. Täglich gibt es rassistische Polizeigewalt, ob in den USA oder in Europa. Täglich werden Frauen ermordet, täglich sterben Personen auf der Flucht, im Mittelmeer oder beim verzweifelten Versuch, über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu kommen. Täglich werden Demonstrant*innen von der Polizei angegriffen. Sie verlieren eine Hand, ein Auge, das Leben. Aber all das wird nie als Gewalt bezeichnet.
Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gekommen?
Was die Archive zeigen, ist, dass Nationen wie Frankreich…