Comictipps 03/21
Von
Sulwe
Die mexikanisch-kenianische Schauspielerin und Aktivistin Lupita Nyong’o hat mit diesem Buch ihre persönlichen Erfahrungen mit Colorism niedergeschrieben. Sie empowert damit Kinder, die die gesellschaftliche Vorrangstellung von helleren Hauttönen am eigenen Leib spüren und aufgrund ihres dunklen Hauttons benachteiligt werden. Das Schwarze Mädchen Sulwe, die Hauptfigur des Buches, ist dunkler als alle in ihrer Familie und alle in ihrer Schule. Sie versucht, ihren Hautton mit einem Radiergummi wegzurubbeln, und will nur noch weiße Sachen essen, um sich von innen aufzuhellen. Kurz: Sie versucht alles, um anders auszusehen. Ihre Mutter ist zwar unterstützend, aber so recht kann ihr Sulwe Sätze wie „Wirkliche Schönheit ist eine Frage des Herzens und des Geistes“ nicht abnehmen. Erst nach einer märchenhaften Traumreise mit den beiden Schwestern Tag und Nacht lernt Sulwe, ihre Schönheit anzuerkennen. Atemberaubend sind die Illustrationen von Vashti Harrison, absolut gelungen ist die Übersetzung von der Diversity-Studies-Professorin Maisha-Maureen Auma, die den „New York Times“-Bestseller für deutschsprachige Kinder zugänglich gemacht hat. „Sulwe“ ist eine Bereicherung für jedes Kinderbuchregal. Carla Heher
Lupita Nyong’o „Sulwe“ ( Illustriert von Vashti Harrison. Aus dem Englischen von Maisha-Maureen Auma. Ab 4 Jahren. Mentor Verlag, 48 S., 24 Euro )
Melek + ich
Ein letzter Drink – und Nici, Wissenschaftlerin und Stammbesucherin einer Leipziger Szenebar, hat die entscheidende Idee: Noch heute Nacht will sie ihre bahnbrechende Erfindung testen. Ihr selbst gebauter Apparat ermöglicht das Reisen in andere Dimensionen. Weil dafür ein robuster „Reisekörper“ notwendig ist, hat Nici die Puppe Melek ganz nach ihren Wunschvorstellungen konstruiert. „Ein Werk, welches vor Perfektion und Schönheit nur so strahlt“, sagt sie selbst über ihren Avatar und es beginnt eine wahnwitzige Geschichte, in der Nici – als Melek – einer anderen Version von sich selbst begegnet und ihr hoffnungslos verfällt. Um physikalische Theorien geht es Lina Ehrentraut in ihrem Debüt nicht, vielmehr nutzt sie das Genre der spekulativen Fiktion, um Fragen nach der Flexibilität und Konstruiertheit von Identitäten aufzuwerfen. So entsteht eine Art Pygmalion-Queering: temporeiche Science-Fiction über Intimität und die Auseinandersetzung mit dem eigenen, zugleich vertrauten und fremden Körper, über die Rolle von Community und die Fragilität von Lebensentwürfen. Wie leichtfüßig, berührend, gelegentlich lustig und nicht zuletzt sexy das alles daherkommt, macht „Melek + ich“ zu einem großen ersten Wurf. Ehrentrauts Bildsprache ist so facettenreich wie Nici/Melek selbst: Die schwarz-weiß gezeichneten Panels werden mit gemalten Farbexplosionen durchbrochen, sobald es wilder oder interdimensional zugeht. Jana Sotzko
Lina Ehrentraut „Melek + ich“ ( Edition Moderne, 240 S., 25 Euro )
Diese Texte erschienen zuerst in Missy 03/21.