Von Hanna Butterer

Nachhaltigkeit ist eines der Schlagworte unserer Zeit: Modelabels bewerben „nachhaltige Produktlinien“, Betriebe gehen zu „nachhaltigen Unternehmensführungen“ über und die Wirtschaft versucht, „nachhaltig zu wachsen“. Es ist die Leitidee für eine (klima-)gerechte Zukunft, ethischen Konsum und Umweltschutz − und gleichzeitig Nährboden für Lippenbekenntnisse und Greenwashing. Was meinen wir also, wenn wir „Nachhaltigkeit“ sagen?

Der Nachhaltigkeitsgedanke hat seinen Ursprung vor mehr als dreihundert Jahren in der Forstwirtschaft: Es sollte nicht mehr Holz gerodet werden, als natürlich nachwächst, um die Regenerationsfähigkeit des Waldes aufrechtzuerhalten. Spätestens seit den 1980er-Jahren avanciert Nachhaltigkeit immer mehr zur Antwort auf soziale, ökonomische und ökologische Fragen in der Politik. Die am häufigsten verwendete Definition stammt aus dem Brundtland-Bericht von 1987 der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen und beschreibt Nachhaltigkeit als eine Befriedigung der Bedürfnisse der Gegenwart, welche künftige Generationen in der Befriedigung ihrer Bedürfnisse nicht beeinträchtigt. 2015 wurde diese Grundidee von der UNO in 17 Nachhaltigkeitszielen konkretisiert. Obwohl damit verbundene Diskussionen um die Unvereinbarkeit von Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit mit dem Wachstumsimperativ seit Jahrzehnten geführt werden, wird die kritisch-emanzipatorische Dimension von Nachhaltigkeit häufig marginalisiert. Auch Geschlechtergerechtigkeit gilt als Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung. Die Wertschätzung von Care-Arbeit und die Stärkung reproduktiver Rechte sind zwar in den UN-Nachhaltigkeitszielen verankert, erhalten bisher jedoch kaum Aufmerksamkeit. Darüber hinaus müssen binäre und heteronormative Denkmuster sowie dazugehörige Diskriminierungen aufgebrochen werden.

Will man das Gerechtigkeitspostulat ernst nehmen, gilt es, Nachhaltigkeit weiterzudenken und systemkritische Ansätze in den Diskurs einzubringen. Anstatt globale Macht- und Herrschaftsstrukturen infrage zu stellen, liegt der Fokus jedoch häufig auf der individuellen Konsumverantwortung. Doch Einzelpersonen haben als Konsument*innen nur begrenzte Macht und Kontrolle, um zu bestimmen, wie die Welt gestaltet wird. Zu oft werden die Debatten um einen nachhaltigen Lebensstil klassistisch und neokolonialistisch geführt. Heißen Preiserhöhungen von klimaschädlichen Lebensmitteln nicht in erster Linie, dass sich künftig nur noch die Menschen bestimmte Produkte leisten können, die schon jetzt am meisten zum CO2- Ausstoß beitragen? Neben ausbeuterischen Lebens- und Produktionsweisen zeigen sich neokolonialistische Denkmuster, wenn sogenannte Schwellenländer vom Globalen Norden für ihre wachsenden industriekapitalistischen Systeme und deren Auswirkungen auf die Natur angeprangert werden. „Ihr dürft die Fehler nicht machen, die wir schon gemacht haben“, heißt es dann.

Ein kritisch-emanzipatorisches Verständnis von Nachhaltigkeit ist intersektional und integriert Fragen zu (Hetero-)Sexismus, sozialer Ungleichheit und Neokolonialismus. Denkt man Nachhaltigkeit über unser gegenwärtiges Alltagsverständnis hinaus, gilt es, nicht nur unsere Lebensweise, sondern auch gesellschaftliche Strukturen und Denkweisen kritisch zu reflektieren: Nachhaltigkeit im Kleinen muss mit Nachhaltigkeit im Großen zusammengedacht werden. Nur so entsteht ein Raum zur gesellschaftlichen Aushandlung von einem guten Leben für alle.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 03/21.