Text: Sascha Rijkeboer

Als ich mich zum ersten Mal mit Sexismus auseinandersetzte, das muss so 2016 gewesen sein, begann ich natürlich erst einmal mit popfeministischer Lektüre, habe aber auch gleichzeitig mit einer Freundin eine Übung zum Erkennen von Sexismus praktiziert: Wir haben Protokolle über den Sexismus, der in den Sendungen „Der Bachelor“ und „Die Bachelorette“ auf dem Sender 3+ reproduziert wurde, verfasst. Akribisch hielten wir Kontext, das Zitat oder die Handlung sowie Kommentare fest und versahen die einzelnen Sexismen mit Labels. Für eine einzige einstündige Episode brauchten wir ca. 4,5 Stunden, um ein Protokoll zu erstellen von allem, was uns auffiel. Ich habe also ein überaus geschultes Auge für die Narrative, die Dramaturgie – eben für den Typ  Realityshows dieser Art und war sehr gespannt, was mich in der neuen Show „Princess Charming“ erwarten würde.

© El Boum

Vor diesem Hintergrund bin ich bei jeder einzelnen Episode der nun wöchentlich erscheinenden Show „Princess Charming“ des Senders TVNow (co-produziert von Vox) super happy, weil es schlichtweg annehmbarer ist. Es ist die erste Datingshow ever mit einem lesbischen oder bisexuellen Cast und ist für mich nicht zu vergleichen mit heteronormativen Formaten. Es ist so schön zu sehen, mit welcher Behutsamkeit und Rücksicht die „lesbische“ Variante dieses Formats erzählt wird.

Ich bin immer wieder beeindruckt, wie sehr „care“ unter den Kandidat*innen füreinander Teil der Serie ist. Obwohl es einen Konkurent*innenkampf um die Princess gibt und mittlere Dramen inszeniert werden müssen, rückt das sehr oft in den Hintergrund und ein kollektives empathisches Interesse der Kandidat*innen tritt an dessen Stelle. Das berührt mich, denn ich bin es von solchen Formaten nicht gewohnt.

Sascha Rijkeboer

Sascha hieß nicht immer Sascha. Aber jetzt heißt Sascha so. Sascha kam 1992 in den Niederlanden als Kind eines holländisch/tschechischen Paares zur Welt. Zur Zeit arbeitet Sascha in einer Bar in Basel, setzt sich für queerfeministische Anliegen ein und leistet als non-binäre trans Person Öffentlichkeitsarbeit in unterschiedlichen Kontexten, z. B. schreibt Sascha aktuell Kolumnen für Bajour und das Missy Magazine. Sascha tourt mit einem queer Spoken-Word-Programm in der Deutschschweiz.

Ich bedauere aber, dass es nur weiße, dünne, able-bodied Charaktere sind, die es – mit Ausnahme von zwei lightskinned Women of Color – als Kandidat*innen in die Show geschafft haben. Und der*die einzig non-binäre Teilnehmer*in Gea wird derweil konstant misgendert. Einer Erklärung, was non-binär bedeutet und welche Pronomen Gea verwendet, wird kein Raum eingeräumt, auch die Prinzess spricht konstant von „sie“, wenn sie über Gea spricht. Gea muss diese Arbeit nun im Nachhinein selbst nachholen, was Gea z. B. auf Tiktok macht. Jedoch erfreulich: In einem Insta-Live erklärten die Kandidat*innen Gea und Wiki, dass die Macher*innen der Sendung die sehr häufig verwendete Anrede „Ladys“ für die Kandidat*innen aus dem Offtext, nach der Ausstrahlung der ersten Episode angepasst hätten, da sie diese Kritik erreichte.

Problematisches Wording von Kandidat*innen wird leider trotzdem gezeigt. So wurde die maskuline cis Frau Saskia von zwei Mitstreiterinnen gefragt, ob sie sich noch nie überlegt hätte, „eine Umwandlung zu machen“, weil sie nicht feminin presenting ist – ziemlich unsensibel und auch ziemlich engstirnig.

Als richtiggehend revolutionär verstehe ich jedoch die unverkrampfte Auseinandersetzung mit Sexualität, Orgasmen, Präferenzen und der eigenen Vulva. Wo bei den „Bachelorettes“ die Kandidaten (und sogar der Offtext), die ganze Zeit subtile Größenvergleiche und phallische Symbolnarrative zelebrieren, ohne eine wirkliche Auseinandersetzung zu suchen, sprechen die Kanditat*innen bei „Princess Charming“ offen über das Aussehen, den Geruch und ihr eigenes Verhältnis zu ihren Vulven. Sie sprechen über Unsicherheiten und Bodyshaming, über Sexualpraktiken und Orgasmen und wie vielfältig lustvoll lesbische Sexualität gelebt werden kann. Eine solche Offenheit wurde in den heterosexuellen Formaten nicht einmal angetönt – es wäre unvorstellbar, dass ein Anwerber der „Bachelorette“ sagen würde: „Du, ich mag megagerne Analsex, magst du Sex mit Strap-ons? Was sind deine sexuelle Präferenzen, magst du es überhaupt, penetriert zu werden?“

Trotzdem schlittert „Princess Charming“ aber mitnichten in eine Schmuddelkiste rein, wenn solche Themen angesprochen werden – im Gegenteil: Lesbische Sexualität und lesbisches Begehren wird (zumindest bisher) überhaupt nicht entsprechend einem pornografischen Male-Gaze inszeniert.

Ich bin froh, dass es „Princess Charming“ gibt. Hier wird niederschwellig eine Selbstverständlichkeit essenzieller Verhältnisse gezeigt, die sich schon lange in der gesamten Gesellschaft ausbreiten sollte – ich bin zuversichtlich: wenn sie bei Reality-TV angekommen ist, sind wir in unserer Gesellschaft nicht mehr weit davon entfernt :-)