Von Simbi Schwarz

Wenn ich gefragt werde, was ich beruflich mache, antworte ich oft: „Ich mache Workshops im Bereich Antirassismus und Antiadultismus.“ Während die meisten Menschen von Rassismus eine mehr oder weniger klare Vorstellung haben, erzeugt der Begriff Adultismus oft Fragezeichen. Was ist Adultismus also? Ich möchte gerne die Fragezeichen, vielleicht auch in deinem Kopf, auflösen.

Der Anfang des Wortes kommt ursprünglich aus dem Lateinischen, „adultus“ bedeutet so viel wie „erwachsen“. Die Endung „-ismus“ wird oft als Bezeichnung von Glaubenssystemen genutzt. Der kanadische Autor Adam Fletcher schreibt: „Wenn eine Entscheidung ausschließlich auf der Grundlage des Alters getroffen wird, anstatt aufgrund der Fähigkeiten eines Menschen, ist das Diskriminierung. Eine Sprache, die ausschließt, verharmlost oder junge Menschen klein macht, ist Diskriminierung. (…) Jedwedes Verhalten und jede Einstellung, die routinemäßig jungen Menschen gegenüber voreingenommen ist, nur weil sie jung sind, ist Diskriminierung.“

Mit elf Jahren habe ich meine erste eigene Definition entwickelt: „Adultismus bedeutet, dass größere Menschen Kinder absichtlich runtermachen und sie auch damit aufziehen, dass sie kleiner sind; sagen, dass sie nicht so gut sind wie sie.“ Meine zweite Definition habe ich vier Jahre später entwickelt: „Adultismus ist, wenn Ältere bzw. Erwachsene sich das Recht herausnehmen, über Jüngere zu bestimmen und in ihrem Namen zu entscheiden.“
Dieses Recht nehmen sich nicht nur einzelne Erwachsene heraus, sondern es wird ihnen von Politik und Gesetz, hinter denen weitere Erwachsene stehen, zugeschrieben. So erfinden sie Wörter, die belegen sollen, dass sie immer das Sagen haben, z. B. „erziehungsberechtigt“ und „Aufsichtspflicht“. Sie erfinden Wörter, die festlegen, wer wichtig und wer weniger wichtig ist, etwa „minderjährig“ und „volljährig“. Diese Wörter finden sich in Gesetzen wieder, die junge Menschen immer wieder in Abhängigkeiten zu Erwachsenen bringen. Während kein Erwachsener dazu gezwungen wird, arbeiten zu gehen, gibt es für junge Menschen eine Schulpflicht. Und was man da zu lernen hat, bestimmen ebenfalls Erwachsene. Außerdem werden Kinder aus gesellschaftlichen Entscheidungen, wie z. B. Wahlen, rausgehalten, obwohl diese sie teilweise direkt betreffen. Statt miteinbezogen zu werden, werden sie in der Kita auch gegen ihren Willen zum Mittagsschlaf gezwungen und später in ein komplett kaputtes Schulsystem gesteckt.

Wenn du dich fragst, wie sich Adultismus ganz konkret im Alltag zeigt, hier ein Beispiel: Man schnappt als Kind irgendwo ein Wort auf, das man nicht kennt, und wenn man seine Eltern fragt, bekommt man als Antwort: „Das erkläre ich dir, wenn du älter bist.“ Damit tappen Eltern in die Adultismusfalle. Sie glauben, dass das Kind es nicht versteht, nur weil es in ihren Augen noch zu jung ist. Dabei könnten sie versuchen, es so zu erklären, dass auch Kinder es verstehen. Eine andere Situation: Eine Mutter trifft eine Freundin im Supermarkt und die beiden reden über das Kind, obwohl es direkt dabeisteht. Das Kind wird behandelt, als verstünde es nichts oder als wäre es egal. Ganz besonders gemein ist es, wenn das Gerede nicht nett ist. Ich schlage vor, dass Erwachsene wenigstens darauf achten, was sie sagen, wenn sie schon über ihr Kind reden, als wäre es nicht da.

Simbi Schwarz & ManuEla Ritz „Adultismus und kritisches Erwachsensein“
Unrast, 550 S., 24,80 Euro

Dieser Text erschien zuerst in Missy 04/21.