Tantsn Aoyf Ash
Kolumnist*in: Debora Antmann
Loud’n Jewcy von Debora Antmann
טאַנצן אויף אַש
tantsn aoyf ash
Auf Asche tanzen
Debora Antmann
„Klezmer!“ Meine gesamte Kindheit und Jugend hindurch schienen kulturbegeisterte Erwachsene das für eine adäquate Reaktion auf mein Jüdischsein zu halten. Nur dieses eine Wort, aber mit Begeisterung: „Klezmer!“ Ich weiß bis heute nicht, was die gesellschaftlich erwartete Antwort darauf ist, aber vermutlich nicht: „גיי קאַקן אויפֿן ים“ (fuck off [ gey kakn aoyfn im], wortwörtlich: „geh ins Meer kacken“). Jüdische Kultur ist für wc-Deutsche schon immer der reinste Selbstbedienungsladen gewesen. Ob nun der verstaubte Trend unserer Elterngenerationen, dass alle Klezmer hören und spielen, oder der seit Jahrzehnten existierende Trend, dass alle Hebräisch lernen wollen, oder der neueste Trend, dass Jiddisch die neue It-Sprache für Goys ist: Sie alle verursachen Hautausschlag bei mir. Dass ausgerechnet wc-Deutsche Kultur (be-)nutzen, die aufgrund ihrer Eltern und Großeltern quasi ausgestorben ist, die für viele Jüd*innen unsprechbar, unhörbar, unlesbar geworden ist, weil sie mit Angst und Trauma vor Verfolgung, Sichtbarkeit und Auslöschung verbunden ist, weil es zu schmerzhaft ist oder schlicht und ergreifend, weil man es nicht mehr kann, weil jene, mit denen man es gesprochen, gespielt, gelesen hat, nicht mehr da sind, ist wie das Schmücken mit Kriegstrophäen: geschmacklos, pietätlos, unsensibel, Generationentriumph. Bewusst oder unbewusst. Es ist im Grunde nicht viel besser, als sich stolz Raubkunst ins Wohnzimmer zu hängen. Weil man ohne Angst und voller Stolz und Selbstverständlichkeit in den reichen Schatz jüdischer Kultur greifen und sich damit schmücken kann, während die eigene Geschichte dafür gesorgt hat, dass für Jüd*innen über Generationen nur Scherben geblieben sind.
Ihr tanzt ausgelassen auf unserer Asche.
אַ נייַ דור פֿאָדערט זייַן אייגענעס
a nay dur fodert zayn eygenes
Eine neue Generation reclaimt das Eigene
Doch jüdische Kultur trendet nicht nur unter Goyim. In Deutschland entdecken auch zunehmend Jüd*innen neue Zugänge zu jüdischer Kultur in Form von Yiddishkayt für sich. Konzepte wie Doikayt und Veltlechkayt gewinnen mehr und mehr an Relevanz für viele Jüd*innen. Und für viele wird zum ersten Mal deutlich, dass sie eine jüdische Identität und jüdische Beziehung zu Musik, Literatur, Sprache, Theater, Aktivist*innen haben können, ohne dass diese religiös verankert sein müssen. Dass jüdische Sekularität eben nicht nur die „Ent-Transzendenz“ des religiösen Judentums ist, so wie viele Goyim es interpretieren, sondern dass dies eine christozentrische Interpretation vom Jüdischen ist. Ich habe bis heute keinen Goy getroffen, der ein Verständnis dafür entwickeln konnte, dass Veltlechkayt – also Säkularität im Judentum –, jüdische Sekularität nicht die nachträgliche Verweltlichung einer Religion ist, sondern dem Judentum inhärent. Eigene jüdische Denk- und Gesellschaftswelten so wie es auch die religiösen sind. Keine Umformung davon. Mit eigener Kultur und Geschichte und gleichzeitig finden sie sich alle im gegenseitigen Kanon wieder. Es zeigt, dass Deutschen nicht mal bewusst ist, was sie alles zerstört haben, und das macht mich an manchen Tagen noch bitterer. Deswegen ist es auch nicht überraschend, dass ähnlich wie in den USA in den 80ern auch hier viele queere und feministische Jüd*innen sind, die jüdisch-säkulare Kultur, wie Klezmer und Jiddisch – sei es in Form von Sprache oder Literatur – für sich zurückerobern. Die eigene jüdische Identität ausdrücken zu können ist nicht nur wichtig, weil es identitätsstiftend und identitätsstärkend ist. Es ist in Deutschland von besonderer Bedeutung, weil es die Möglichkeit schafft, sich darin als Community zu verbinden – ohne auf die reglementierenden und institutionalisierten Gemeinden angewiesen zu sein – UND um sich so in der diasporischen Existenz – wenigstens im Judentum – verwurzeln zu können. Deswegen ist es auch nicht überraschend, dass gerade dem Konzept der Doikayt* so viel Bedeutung zukommt. Im Grunde ist es das jüdische Gegenkonzept zur deutschen Fremdzuschreibung und die Hinwendung oft nicht nur zum säkularen, sondern zum politischen Judentum.
די כוואַליעס פּלאַצן
di chvalyes platsn
Die Wellen prallen aufeinander
Während hier die erste Welle der jüdischen Wiederaneignung von Yiddishkayt** beginnt, ist in den פאַרייניקטע שטאַטן – fareynikte shtatn gerade die zweite Welle im vollen Gange. Bereits in den 80ern hat dort eine Welle von Jüd*innen angefangen – und ähnlich wie jetzt in Deutschland waren viele von ihnen Queers und Feminist*innen –, Jiddisch zu lernen, fast vergessene, aber wunderbare jiddische Autor*innen auszugraben und Klezmer als Musik, die selbst in der Tragik das Lebendige nicht verliert, für sich zu entdecken. Initiativen und Archive wie das yivo wurden gegründet und haben bis heute ihre Bedeutung beibehalten.
Doch was passiert, wenn eine zweite auf eine erste Welle prallt? קלאַפּאָט – klapot – Schwierigkeiten. Denn das Problem ist, dass vielen US-amerikanischen Jüd*innen, die aus der zweiten Welle Doikayt nach Deutschland kommen, gar nicht bewusst ist, worauf sie hier treffen. Es fehlt das Wissen, dass sie hier auf die zarten Anfänge einer ersten Welle stoßen und dass fast alles, was vorher mit viel Sichtbarkeit und Selbstbewusstsein geschehen ist, wc-deutsche Aneignung war.
Viele kommen zwar irgendwann voller Verwunderung an den Punkt, an dem sie feststellen, dass in den Institutionen und Vereinen nur wc-Deutsche sitzen, aber noch immer fehlt oft der Aha-Moment, dass hier etwas wächst, das in den USA schon einmal aufblühen konnte: jüdische säkulare Selbstfindung. Was als Folge passiert, ähnelt fast schon mehr „US-Kultur trifft Kartoffel-Culture“ als Jüd*innen unter Jüd*innen. Zur Erklärung ein kurzer Rückblick: Auch als das letzte Mal jüdisch-feministische Aufbrüche im „Nachgriegsdeutschland“ stattfanden, nämlich in den 80ern, spielten US-amerikanische Jüd*innen in Deutschland eine wichtige Rolle. Aber sie verstanden sehr schnell, dass sie sich in einer Landschaft des Nixs befanden und boten jüdischen Aktivist*innen aus Deutschland in erster Linie Support, Literatur und Gespräche an. In allen meinen Zeitzeug*innengesprächen wurde die unglaubliche Awareness der feministischen US-amerikanischen Jüd*innen deutlich. Ich unterstelle der zweiten Welle nicht generelle Unawareness. Und ich möchte auch nicht generalisieren. Aber aus der Gleichzeitigkeit einer ersten Welle der Wiederaneignung jiddischer Kultur hier und einer zweiten in den USA und dem fehlenden Bewusstsein dafür fehlt auch die nötige Solidarität an den richtigen Stellen. Denn während wc-Deutsche von jeher ihre Kartoffelversion unserer Kultur auf unserer Asche tanzen, tanzen US-amerikanische Jüd*innen, die nach Deutschland kommen, ebenfalls direkt los – um uns zu zeigen, wie es richtig geht. Weil sie nicht verstehen, dass die meisten von uns gar nicht wissen, wie man tanzt, weil wir gerade anfangen oder weil sie mit wc-Deutschen tanzen. Weil es eben noch keine erste Welle gab, sondern sie mittendrin stehen. Aus innerjüdischer Perspektive: Deutschland ist das jiddische Entwicklungsland. Das ist nicht nur sehr amerikanisch, das ist auch deswegen schwierig, weil es übersieht, wer in Deutschland die Jüd*innen sind. Die Jüd*innen in den USA, die sich in der zweiten Welle der Yiddishkayt zuwenden, sind mehrheitlich Jüd*innen mit osteuropäischen und russischen Wurzeln, genauso wie die Jüd*innen hier. Der Unterschied ist: In Deutschland sind fast alle Einwanderer*innen erster Generation. Das heißt, wir reden von ihrer unmittelbaren Kultur, auch wenn viele davon wahrscheinlich nicht mit Jiddisch aufgewachsen sind, geht es ja bei jiddischer Musik und Sprache um viel mehr. Wir befinden uns innerjüdisch in einer Situation, in der US-amerikanische Dritt- und Viertgenerationer*innen im Wiederentdecken der eigenen Wurzeln Jüd*innen bei dem Versuch der Aneignung ihrer unmittelbaren eigenen Kultur übertanzen.
!איצט טאַנצן מיר
itst tantsn mir!
Jetzt tanzen wir!
Das ist nicht der Aufruf zu einem innerjüdischen Konflikt. Nur die Feststellung, dass Kontext wichtig ist und Jüd*innen in Deutschland immer noch um jedes Pflänzchen bangen müssen. Das Jüd*innen, die aus anderen Selbstverständlichkeiten kommen, einige Zeit brauchen, um zu verstehen, wie פֿאַרקאַקט – farkakt (ich glaube, das muss ich nicht übersetzen) jüdische Wirklichkeit in Deutschland ist, was den meisten Jüd*innen, die hier aufgewachsen sind, schmerzlich bewusst ist. Viele der Jüd*innen, die in den 80ern hier waren, haben übrigens zu ihren Erfahrungen sehr eindrucksvoll geschrieben. Zum Glück ist das Motto der Doikayt im Grunde:
מיר זענען גרויסאַרטיק און מיר קיינמאָל נישט געבן אַרויף – mir zenen groysartik aun mir keynmol nisht gebn aroyf – wir sind großartig und geben niemals auf. Wir haben die Klezmer-Muttis überlebt und die wc-deutschen Hebräisch-Obsessiven. Wir werden auch die goyschen Jiddisch-Lehrlinge überstehen, die jedes Mal ausrasten oder erklären müssen, warum das in ihrem speziellen Fall okay, anders, legitim, wichtig ist, wenn man darauf hinweist, warum eine Sprache, die man selbst erfolgreich ausgerottet hat, zu lernen, ein ziemlich חזירים-chazerim***-mäßiger Move ist. Wir lernen eine Sprache, um miteinander zu sprechen, zu singen, zu lesen und zu schreiben, weil wir eben nicht ausrottbar sind. Ihr habt mit euren wc-deutschen Kartoffel-טאָכעסעס-tocheses**** in den letzten Jahrzehnten genug Asche aufgewirbelt, jetzt zeigen wir euch mal, wie es richtig geht. Denn falls ihr es von unseren US-amerikanischen Geschwistern noch nicht verstanden habt: Ihr könnt jetzt ins Meer kacken gehen!
Anmerkungen:
*„Hierheit“ denkt Judentum als Zustand der Diaspora und hat deswegen durch Sprache, Kultur und Solidarität die Stärkung jüdischer Communitys, ihrer Rechte und Autonomie als Ziel, wo immer sie leben.
** Yiddishkayt steht für „Jüdischkeit“ in Abgrenzung zum „Jüdischsein“. Es steht für die Identität und Identifikation als Jüd*in. Wogegen das Jüdischsein z. B. zunächst eine familiäre Gegebenheit sein kann. Im Beispiel der Assimilation wird die Bedeutung zwischen Jüdischsein und Jüdischkeit sehr deutlich.
*** Schweine, חזיר – chazer – Schwein: Beleidigung auf Jiddisch für eine moralisch unkeuschere Person. Nicht ohne Grund oft auch für Polizist*innen verwendet.
**** Hintern
Goi, oder Goj, im Plural Gojim, ist eine jiddische Bezeichnung für nicht jüdische Menschen
wc-deutsch = weiß und christlich (sozialisiert)