Text und Fotos: Jena Samura

Anjali Prashar ist Künstlerin, Aktivistin und hat zu queerer Clubkultur geforscht. Wir treffen uns nachmittags im Londoner Stadtviertel Hackney Wick, einem Industriegebiet im Londoner Osten, das gerade massiver Gentrifizierung ausgesetzt ist. Unterschiedliche Künstler*innen nutzten die leer stehenden Fabrikhallen für Musik, Theater und Graffiti, da die Mietpreise vor einigen Jahren noch niedrig waren. Durch Investitionen der Stadt entstehen nun hippe Cafés und teure Hotels, die nach und nach kleine Kunstbetriebe und die migrantischen Bewohner*innen verdrängen. Anjali ist Musik- und Eventproduzentin im Community-Theater The Yard, das seit Beginn der Corona-Pandemie den Betrieb einstellen musste. Anjali erzählt mir, warum Kunst, Kultur und Partyszene gerade für QTI*BIPoC enorm wichtig sind.

Als Musik- und Eventproduzentin bist du verantwortlich für die Veranstaltungen im The Yard. Wie gestaltet sich deine Arbeit und was ist dir dabei besonders wichtig? 

Mein Ziel ist es, Aktivismus, Kunst und Nachtleben zusammenzubringen. Ich versuche, vor allem queeren und of Color Kollektiven eine Bühne zu geben, die diese Dinge durch Perfomance Art zusammenbringen. Am wichtigsten sind mir aber die Partyreihen, die wir gemacht haben. Z. B. Veranstaltungen des feministischen Kollektivs cunt_emporary oder die Sober Party von MISERY, in deren Mittelpunkt es steht, einen Raum für Menschen mit physischen Erkrankungen zu schaffen. Sie bieten die Möglichkeit, abseits von Drogen und Alkohol ausgelassen zu feiern und bedenken, dass es Menschen gibt, die bspw. Ängste oder Depressionen haben oder in der Vergangenheit abhängig von bestimmten Substanzen waren. All diese Personen können zu uns kommen und sich fallen lassen.

Im The Yard ist vieles deiner Arbeit Community-basiert. Aber wie nimmst du als Femme of Color den weiß dominierten Kunst- und Kulturbetrieb in London wahr?
Ich beobachte, dass sich das meiste darum dreht, Kunst für die Kunst zu machen. Das Endprodukt auf der Bühne ist dann so avantgarde, dass es niemanden mehr erreicht. Es ist quasi das Ziel, dass die Zuschauenden nicht verstehen, was auf der Bühne passiert. Die Performances tragen dann Titel wie „The Politics of the Politics of the Politics …“, aber am Ende hat es nicht Politisches an sich. Nichts, was im Ansatz Inhalte feministischer oder antirassistischer Befreiungskämpfe thematisiert.

Wie erklärst du dir, dass einige Künstler*innen lediglich Kunst für die Kunst produzieren?
Viele weiße Künstler*innen sind so privilegiert, dass sie sich in ihrer Arbeit nicht mit Gesellschaft befassen müssen. BIPoCs hingegen haben diese Wahl nicht – sie müssen Kapital schlagen aus ihren Körpern. Unsere Existenz ist politisch und somit auch meistens die Kunst, die wir machen. Hinzu kommt die Tatsache, dass Schwarz oder of Color zu sein das Thema ist, das das Publikum von uns sehen will. Erst wenn Marginalisierungserfahrungen thematisiert werden, ist unsere Arbeit interessant. Das Nachtleben bietet uns die Möglichkeit, damit zu brechen, deshalb ist es so wichtig für mich. Personen, die kein Geld für Kunst und Kultur ausgeben können, haben die Möglichkeit, Clubs zu besuchen und dort können wir dann Performances in die Club Nights einbauen von Künstler*innen, die kein Publikum bekämen, würden sie nicht Diskriminierung verarbeiten. Die meisten Menschen würden sagen: „Party machen ist, um sich zu betrinken und Drogen zu nehmen.“ Tatsächlich hat aber eine Menge Kunst und Kultur ihren Ursprung im Nachtleben marginalisierter Gruppen. Von hier aus verbreiten sich Trends in den Mainstream und wir sehen diese Kunst dann in Museen oder im Fernsehen und denken, weiße Menschen hätten sie kreiert. Dabei liegt ihr Ursprung im Widerstand, in der Kultur und dem Zelebrieren Schwarzer und of Color und/oder queerer Communitys.

Hast du ein Beispiel für diese Aneignung?
Das bekannteste Beispiel finden wir vermutlich im Voguing. Es ist ein Tanz, es ist Kunst und dahinter steht eine ganze Kultur, die geprägt wurde durch Schwarze und of Color trans Personen auf der Suche nach einem Raum, in dem sie sich ausdrücken können. In dem sie Teil der Gesellschaft sein können und anerkannt werden. Das Nachtleben ist auch weiterhin der Ort, an dem queere BIPoC performen können, wenn etablierte Institutionen sie ablehnen.

 Wie siehst du die Beziehung zwischen Nachtleben und politischen Kämpfen?
Wenn wir an Feiern denken, ist Autonomie ein zentrales Element. Unabhängig von anderen und unabhängig von unserer Umwelt sein. Roh sein. Unabhängigkeit ist eine romantische Idee, wenn du der Status quo bist, also mag sein, dass das auf weiße Techno Raver zutrifft. Aber BIPoC können sich nie auf das Außen verlassen. Und Autonomie ist auch nicht unser Ziel. Als BIPoC sind wir voneinander abhängig und das ist keine Schwäche. Interdependenz ist Stärke und kollektive Ermächtigung. Wir können anfangen, uns zu fragen: „Wenn diese Utopie hier möglich ist, warum kann sie das nicht auch außerhalb des Clubs sein?“ Das wiederum führt zur Formulierung politischer Forderungen und im besten Fall sehe ich die Gesichter aus dem Club an einem anderen Tag auf einer Demo.

Welche weiteren Aspekte bietet das Nachtleben marginalisierten Personen?
Eine allgemeine Annahme ist, dass Feiern gehen eine „Flucht“ darstellt. Die Möglichkeit, für eine Nacht alles zu vergessen. Ich würde dieser These widersprechen. Für viele queere BIPoC ist das Nachtleben eher ein Nach-Hause-Kommen. Es geht nicht darum, vor der Realität zu flüchten. Du gehst feiern, um mit der Community zu sein, weil das der einzige Ort ist, an dem du deine Realität leben kannst. Hier können wir die Kraft des Kollektivs spüren und sicher sein. Diese Sicherheit können wir dann mitnehmen ins Tageslicht, um sie auch im Alltag für uns einzufordern.