Mit Nostalgie blickt Leidy auf die letzten Monate zurück. Seit Ende April war sie am Blockadepunkt in Siloé in der südkolumbianischen Metropole Cali aktiv, einem der marginalisiertesten Viertel der Stadt. Sie ging nur zum Schlafen nach Hause – wenn überhaupt. „Wenn wir in einem Jahr die Revolution feiern, würde mich das nicht überraschen“, erzählte die junge Mutter noch vor wenigen Wochen: „Aber, wenn wir in einem Jahr alle von einer Militärdiktatur getötet würden, auch nicht.“ Ihre zwölfjährige Tochter war fast immer dabei. Nur wenn die Polizei angriff, schickte sie das Mädchen zu den Großeltern. Leidy war Teil der Primera Línea, die u. a. die Demonstrieren- den vor der Gewalt der Polizei schützte. Mit ihren selbst gebauten Schutzschilden standen sie in der vordersten Linie – daher auch der Name.

Missy Magazine 05/21, Real Talk
© Daiana Ruiz

Heute gibt es in Cali keine Blockaden mehr, aber das Leben sei auch nicht wie vorher. Die Aktivist*innen der Primera Línea fungieren nun als interne Ordnungskräfte, die neue Aufgaben koordinieren. „Wir machen jeden Tag Veranstaltungen, reden mit den Leuten im Viertel, regeln weiterhin die solidarische Versorgung mit Lebensmitteln.“ Diese Aktionen unter dem Motto „Barrio Adentro“ finden nicht nur in Siloé, sondern in vielen Vierteln kolumbianischer Städte statt.
Im April dieses Jahres hatten unterschiedliche Bewegungen wie Gewerkschaften, Bäuer*innenorganisationen und Studierende zum Generalstreik aufgerufen. Bereits 2019 war es zu massenhaften Protesten gekommen, die dann von der Ausgangssperre wegen der Pandemie vorübergehend ausgeb…