Text: Sascha Rijkeboer
Illustration: El Boum

Wissen Sie, wie Weißdorn riecht? 

Ich finde: wie eine Combo aus Nagellack und Mandeln, ein dear friend von mir sagt wie eine Sofaritze. Wir riechen uns zusammen durch ein Set von 54 Düften, Le nez du vin heißt es. Grüne Paprika ist fix der hässlichste Geruch out of those fifty four.

Ich kann mich mit meinem neuen Hobby – Gastrolife auf ein anderes Level zu heben – plötzlich sehr interessant machen. Ich kann mich in meiner Lowlife-Arbeit in einer Bar neuerdings aufwerten, indem ich mir Expertise zu Konsumgütern aneigne, die meine Mitmenschis regelmäßig genießen, von deren Inhaltsstoffen sie aber keine Ahnung haben. Ich merke, dass überdurchschnittliche Anteile der Gesellschaft keine Ahnung von Weinen, Spirituosen und Sensorik haben – mich eingeschlossen, aber ich darf mich nun darin weiterbilden lassen. Als ambitionierter Rookie bin ich natürlich begeistert von dieser neuen Möglichkeit. Es ist superspannend, den Geruchssinn bewusst zu spüren, mit der Zunge richtig schmecken zu lernen, sich ein Vokabular dafür anzueignen, kurz: eine sensorische Wahrnehmung klassifizieren zu lernen.

Sascha Rijkeboer

Sascha hieß nicht immer Sascha. Aber jetzt heißt Sascha so. Sascha kam 1992 in den Niederlanden als Kind eines holländisch/tschechischen Paares zur Welt. Zur Zeit arbeitet Sascha in einer Bar in Basel, setzt sich für queerfeministische Anliegen ein und leistet als non-binäre trans Person Öffentlichkeitsarbeit in unterschiedlichen Kontexten, z. B. schreibt Sascha aktuell Kolumnen für Bajour und das Missy Magazine. Sascha tourt mit einem queer Spoken-Word-Programm in der Deutschschweiz.

Ich besuche aktuell drei Kurse des Gastronomieverbands Gastrosuisse, weil dieser für 2021 eine Bildungsoffensive für Menschen in der Gastronomie startete, quasi als „Trostpflästerli“ gegen Corona. Und ich find’s richtig, richtig nice! Diese Kurse könnte ich mir sonst niemals leisten. Ich erlag jedoch der naiven Vorstellung einer schöngeistigen Sharing-Community. Ich dachte mir, ich würde diese Kurse besuchen, Weißdorn und grüne Paprika erriechen, lernen, dass Tequila aus Agave hergestellt würde, und was Eiswein ist. Aber ich habe auf diesem Weg auch sehr viel Ungeiles dazugelernt: wie unfassbar sexistisch diese Gastrowelt mit ihren Gatekeeper*innen ist. Ich bin indes nur auf eine ernst zu nehmende feministische Stimme getroffen: Sandra Knecht. Sonst ist man allein auf weiter Flur. Please provide me with your feministist gastro treasures <3. Ich finde mich hier nämlich in einer Hochburg der chauvinistischen Boomer-Softboys wieder, die einem gönnerhaft sensorische Feinheiten beibringen möchten und mit ihren Erfolgsgeschichten prahlen. In jedem Kurs fand eine mindestens 15-minütige Selbstdarstellung des erworbenen Status als Einführung statt. Einer zeigte sogar eine Folie mit seinem Wikipedia-Eintrag – eyeroll material 3000. Mir hätte gereicht zu wissen, dass dieser Kursleiter Herr seines Fachs ist.

Bei der Selbstdarstellung bleibt es aber leider nicht. In einer klassisch-toxischen und maskulinen Manier werden abwertende Aussagen gemacht, wie: Ich hab in meiner Bar in Graubünden den Tresen direkt an den Eingang gebaut, da dort auch gleich die Frauentoilette war. Wenn man also an die Bar ging, konnte man sich gleich an mehreren Körbchengrößen vorbeidrücken, harharhar! Es ist derselbe Kursleiter, der zu Beginn feststellte, dass das generische Maskulinum (so hat er das natürlich nicht bezeichnet) alle einschließen würde, also sprach er fortan vom Angestellten, Bartender, Teilnehmer usw. Es sei denn, es ging ganz offensichtlich um schwächelndes Verhalten in der Gastronomie, dann wechselte er zu die Serviceangestellte“ und das Zimmermädchen“ und Ähnliches. Ich spürte die wütenden Blicke im Nacken, wenn ich konstant mit Glottisschlag (Sprechpause beim Gendern) vergeschlechtlichte Subjektpositionen aus der Gastronomie bezeichnete (Hotelführer*in, Serviceangestellte*r, Barchef*in und so weiter). Die einzige Person, die sich außer mir über die unfassbaren Sexismen dieses Kursleiters ärgerte, musste das von mir benutzte Wort Patriarchat erst googlen, weil sie es noch nie gehört hatte – ich nehme es ihr nicht übel, es ist bezeichnend dafür, dass feministische Bildung nur in meiner Bubble stattfindet. Ich war also immerhin froh, dass eine Hotelleiterin Patriarchat googlete. Es ist allerhöchste Zeit!

Ich google derweil Weißdorn und Sauvignon Blanc und eigne mir eine Maske an, für die ich eine eigene Wortschöpfung habe: Class-Mimikry. Denn das ist es: Sich Feinschmecker*innentum, das Leben als Genussbotschafter*in anzueignen, das ist ein potenter, krasser Flex. Die meisten trinken ihre Weine ja nicht, weil sie etwas von diesen Weinen verstehen, sondern weil sie die Etikette mögen, ihnen der Preis Qualität vorgaukelt oder er schon früher einmal geschmeckt hat. But, whatever Geruchsnuancen meine Geschmacksnerven kitzeln: Diese Selbstaneignung hat immer einen bitteren Nachgeschmack. Nur ein sehr, sehr, sehr kleiner Teil der Gesellschaft kann sich diese Welt und diese Auseinandersetzungen leisten. Es ist ein Lustspiel, das sich vielen verwehrt. Am Ende wird alles monetarisiert, ein großer Waren- und Personalaufwand lässt die Kosten in die Höhe schießen. Feinschmecker*innentum verbleibt den Reichen. Und herabgewertet werden die Fastfoodkonsument*innen, die sogenannten uniform gustatorisch Einfallslosen, als hätten sie sich dafür entschieden.

Es ist schade, dass nicht alle diesen Zugang haben dürfen, denn: Ich schätze es sehr, wie in der Welt der Gourmets und Gourmandes und Gourmenbys (ich bezweifle jedoch, dass es viele dieser Sorte gibt – ihre Sichtbarkeit ist Limes gegen null) einem Teller oder einem Getränk Wertschätzung entgegengebracht wird. Es ist eine Art Achtsamkeitsessen, Food-Yoga. Und so beeindruckend, wie geschätzt werden kann, dass bspw. dem gesamten Bouquet eines Gravensteiner Apfels als Destillat würdigend begegnet werden kann. Ich finde das wirklich poetisch und beeindruckend!

Die Gastrowelt ist in der Regel jedoch nur in elitären Kreisen ein poetisches Profilierungsfeld, ein Hobbyort für von Existenzangst Ungeprägte. Wobei die Gastronomie an den Funktionsstellen von Leuten mit niedrigem Bildungsstand durchzogen wird, von Künstler*innen, die ungerne zugeben würden, auf die Gastro angewiesen zu sein, von Surferboyz, die den Winter durch arbeiten und im Sommer auf ihre perfekte Welle warten, ein Schlachtfeld für Kurzverdienende. Austauschbarkeit ist scheinbar die einzige Voraussetzung: Hast du Erfahrung in der Gastro? Kommst du gut klar mit Stress? You got the job! Führt zu: Deine Arbeit wird nicht als wertvoll, wertschöpfend, betrachtet. Wozu die Mühe?

Da bleibt der Weißdorn auf der Strecke. Ihn riechen zu dürfen – ob er nun als vegetabile Komponente eines Chardonnays oder als Sofaritze bezeichnet wird – bleibt wenigen vorbehalten. Weißdorn ist Privileg. Weißdorn ist Klassismus.