Text: Josephine Apraku
Illustration: EL BOUM

Ein weiterer seltsamer Sommer, ein Halbsommer. Berlin versinkt in hässlichen Plakaten für unterschiedliche Parteien. Auf ihnen stehen Versprechen, die die Parteien nicht zu halten imstande sein werden. Ich würde sogar behaupten, nicht zu halten planen. Wie auch, in einer parlamentarischen Demokratie, in der es ein Einfaches scheint, sich gegenseitig zu blockieren. Wie auch, in einer Demokratie, in der Politiker*innen, die die Gesellschaft politisch repräsentieren sollen, hinsichtlich sozialer Ungleichheit nicht repräsentativ für die Gesellschaft stehen.

Ich denke an die Gespräche zurück, die ich in diesem Sommer geführt habe. Da ist z. B. das mit meiner jüngeren Schwester, die in diesem Jahr Abi gemacht hat (herzlichen Glückwunsch, Bibi!). Sie sitzt in meiner Küche und greift beherzt in eine Tüte leicht gesalzener Chips, bevor sie mit vollem Mund weiterspricht: „Es ist so fucking ungerecht, dass, wenn ich schwanger werden sollte, ich zu einer Beratungsstelle gehen muss – als ob ich nicht in der Lage wäre, so eine Entscheidung für mich zu treffen!“ Ich stimme ihr zu. „Was ich noch absurder finde, ist, dass du als Mensch mit Uterus ja nur eine gewisse Anzahl an Kindern in einem Jahr bekommen könntest. Die Person allerdings, von der du schwanger wärst und die nicht zur Beratung muss, könnte – mit viel Mühe zwar – Tausende Kinder im Jahr zeugen. Aber gut, dass sie dann mit dir geredet haben.“

Josephine Apraku

ist nicht mehr ganz so neues Elternteil, macht Bildungsarbeit zu Diskriminierungskritik, schreibt Dinge und gründet gerade neu.

Ich denke an das Gespräch mit meiner Patentante, die eigentlich nicht meine Patentante ist und quasi einen Ehrentitel von mir bekommen hat. Sie erzählt von den Familien in ihrem Heimatdorf in Baden-Württemberg in der Zeit um den Zweiten Weltkrieg. Ihre Erzählungen hören sich düster an – ein dünner Schleier von Gewalt über allem. Er ist gewebt aus Schweigen, traumatischen Erfahrungen während des Krieges, nackter Angst und dem Überlebenskampf nach dem Krieg, den viele schon zeit ihres Lebens verloren haben. Sie erzählt von einer Frau, deren Mann sich sehnlichst einen Sohn wünschte, so sehr, dass sie elf Mädchen gebar. In seinem „Unglück“ nahm er sich das Leben und ließ sie allein mit den Kindern. Ich kann mir kaum vorstellen, wie ausgezehrt sich der Körper nach knapp zehn Jahren Schwangerschaft angefühlt haben muss.

Ich denke an die Erzählung meiner Mama über meine Oma, die sich nach drei Kindern in den 1960er-Jahren entschieden hatte, keine weiteren zu bekommen, und deren Frauenarzt ihr riet, dass sie, sollte sie Lust verspüren, doch stattdessen einfach einen Apfel essen sollte. Sie wurde noch ein weiteres Mal schwanger und ließ sich, im Grunde als versteckter Schwangerschaftsabbruch und zur Verhütung weiterer Schwangerschaften, die Gebärmutter entfernen.

Ich denke an einen Freund von mir, mit dem ich mich vor Jahren schon über eine Dating-App angefreundet habe und den ich zwar wenig sehe, der aber irgendwie Teil meines Lebens ist. Er hat mir schon früh erzählt, dass er eine Vasektomie hat vornehmen lassen, weil ihm in jungen Jahren klar war, dass er keine Kinder haben möchte. Auch davon, dass er die Vasektomie hat machen lassen, nachdem er seine damalige Freundin bei ihrem Schwangerschaftsabbruch begleitet hatte, erzählt er, als wir uns noch nicht allzu lang kennen. Ich glaube, er sagte etwas wie: „Das Mindeste, was ich tun kann, wenn ich keine Kinder haben möchte, ist, dass ich keine Person, die auch kein Kind will, in die Situation bringe, einen Schwangerschaftsabbruch machen zu müssen.“

Nicht zuletzt denke ich an die vielen Posts auf Instagram, als ein neues Gesetz in Texas erlassen werden sollte, dass es verbieten soll, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, sobald ein Herzschlag auszumachen ist – was schon der Fall sein kann, wenn die Person noch gar nicht weiß, dass sie schwanger ist. Ich denke auch daran, dass der Abbruch einer Schwangerschaft in Deutschland zwar grundsätzlich durchgeführt wird, aber trotzdem illegal bleibt.

Ich mache es kurz: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Weg mit Paragraf 219a!