Vom Patriarchat fürs Patriarchat
Kolumnist*in:
Text: Sascha Rijkeboer
Illustration: EL BOUM
Spoiler Alarm
Mea culpa! Ich habe es auch geschaut: „Squid Game“. Rechtfertigung: Ich lag krank im Bett und habe ein genuines Interesse, popkulturelle Referenzen zu (er-)kennen – es ist also auch immer Recherche. Recherchieren tue ich wirklich wahnsinnig gerne, nachdem ich etwas geschaut habe; ich möchte meine eigenen Gedanken mit denjenigen anderer Zuschauer*innen abgleichen. Während des Sehens, ungefähr ab Episode drei von neun, konnte es mir nicht mehr schnell genug gehen, bis ich endlich lesen konnte, was und wie andere über die Serie denken. Besonders ins Auge gestochen ist mir nämlich die Vielzahl an konservativ-patriarchalen Strukturen – und guess what? Bei meiner Recherche nach dem Gucken fand ich natürlich nur Texte von Dudes, die hier und da die dystopische Kapitalismuskritik des koreanischen Filmemachens thematisierten, aber keine feministischen Gedanken anstellten. Sie ordneten zu Recht ein, dass es sich hier um eine seltsame neue Form des Kapitalismuskritik-Entertainments handelt, das nur an der Oberfläche bleibt. In der Serie wird die ungleiche Verteilung von Macht thematisiert und die Verzweiflung, die prekäre Lebensumstände begleiten kann, zum Fun-Game gemacht. „Squid Game“ ist eine Mischung aus „Takeshis Castle“ (Ninja-Warrior-Plausch) und „Hunger Games“ (überleben oder sterben als Unterhaltungssendung für reiche Leute). Dass es aber unter 456 Teilnehmer*innen im „Squid Game“ nur eine Handvoll Frauen gab, von denen lediglich zwei als relevante weibliche Charaktere eingeführt wurden, das hat keiner der Dudekritiker thematisiert.
Aber da hört meine Kritik nicht auf, ich möchte sie an dieser Stelle ausführen: Die eine Protagonistin wird als komplett hysterisch und alt (nämlich über 40) und darum schon nicht mehr so sexy dargestellt. Sie biedert sich bei den Pausenhofprügel-Typen an und verdingt ihren Körper, um zu überleben. Dass das eine feministische Selbsterhaltungsstrategie sein könnte, wird in dieser Anlage aber nicht gespiegelt. Die andere weibliche Protagonistin ist zufälligerweise die schönste Koreanerin des Landes – die Schauspielerin wurde zu „Korea’s Next Topmodel“ gekürt und läuft auf den großen Laufstegen. Es ist doch irgendwie interessant bei diesen Männerserien: Die Männer müssen nicht gut aussehen, ihre Charaktere sind komplex – die weiblichen Protagonistinnen hingegen werden mit simplifizierten Schicksalsverläufen abgespeist und sind vor allem eins: schön (oder nervig). Ob sie nun schön oder nervig sind, eins sind sie immer, nämlich schwach. Die Serie spart nicht aus, dass bei jeder Gruppenaufgabe lang und breit darüber gesprochen wird, wie schwach Frauen (und alte Menschen) sind und dass man deswegen nicht mit ihnen zusammenarbeiten möchte.
Eine weitere Auseinandersetzung, die mir in den Rezensionen fehlt, ist die Auseinandersetzung damit, wie Konsens in dieser Serie behandelt wird. Die 456 ausgewählten Spieler*innen im tödlichen Spiel um den Hauptgewinn (sehr viel Geld mit dem Versprechen, dass es all ihre Probleme lösen werde) gehen einen Vertrag ein. Wir alle kennen Verträge, wir gehen ja schon einen Vertrag ein, wenn wir eine Packung Nudeln auf das Kassenband legen, nämlich einen Kaufvertrag. Bei „Squid Game“ ist es so: Wer teilnehmen will, darf nicht mehr vom Vertrag zurücktreten, es sei denn, die Mehrheit der Teilnehmer*innen würde sich dazu entscheiden. Also: einmal Konsens ist immer Konsens zum kompletten weiteren und unbekannten Spielverlauf. Es ist enttäuschend, dass dieses No-way-back-after-saying-yes nie als ein Konsensnarrativ in Bezug auf z. B. sexuelles Einvernehmen in den Dudekritiken besprochen wird, während die Serie sonst stellvertretend für alle anderen Diskurse stehen kann. Hier wird bei den Teilnehmer*innen nämlich sichtbar, dass sich jedes Ja fluide verhält und manche gerne Nein sagen würden, um ein ehemaliges Ja zu revidieren.
Insgesamt lese ich den Hype um „Squid Game“ folgendermaßen: Es ist eine patriarchale Serie und darum ist sie so unfassbar beliebt. Sie wurde innerhalb des ersten Monats zur bisher erfolgreichsten Netflix-Serie, was ich darauf zurückführe, dass sie so patriarchal ist und dass Patriarchy in der Mehrheitsgesellschaft einfach sexy ist. Wir haben eine männerfantastische Welt des Kampfes und Überlebens, wir begegnen einer schönen Protagonistin, die zwar geheimnisvoll, aber auch zerbrechlich ist, einer Brudergeschichte (Good-Cop vs. Evil) und einem Loser, der säuft und spielt und sein Kind vernachlässigt, sich selbst aber als Opfer sieht. Dafür geht er in den Ring, steht seinen Mann und wird als sympathischer Gutmensch gezeichnet, umringt vom Bösen. Am Ende geht es aber wie immer, wenn’s nicht um die (heterosexuelle) Romanze geht, um eine Männerfreundschaft und wer liebt die nicht, schließlich kennen wir sie von Sokrates und Platon bis zu Joko und Klaas.