Buch- und Comictipps Missy 06/21

Die neuesten Buch- und Comictipps von Missy.

Missy Magazine 06/21, Buchrezis, Aliens & Anorexie

Aliens & Anorexie
Die Protagonistin Chris Kraus reist Ende der 1990er-Jahren nach Berlin, um ihren Film „Gravity & Grace“ auf einem Festival zu zeigen. Im Netzwerken ist sie wenig erfolgreich, die Vorstellungen ihres Films floppen. Sie flüchtet sich in ihre Gedankenwelt. Hier verwebt die gleichnamige Autorin das Persönliche mit Reflexionen über das Leben von Ulrike Meinhof, dem Werk des Avantgardekünstlers Paul Thek und dem Denken der Philosophin Simone Weil. Für den Lesefluss ist das eher unvorteilhaft. Doch die Anschauungen sind interessant. Durch die Schnittmengen entstehen überraschende Blickwinkel. Wenn sie z. B. vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen über die gängigen Perspektiven auf Anorexie schreibt. Und dabei Weils Magersucht als Protest gegen die industrielle Produktion von Nahrung deutet. In solchen Momenten lohnt es sich, den Gedanken zu folgen, die immer wieder von ihrer eigenen Geschichte wegführen – sie flirtet mit dem Autobiografischen. Beschwerlich liest sich das, es ist aber lohnenswert. Hart geht Kraus mit sich und ihrem Körper ins Gericht. Das lässt sich auch an ihrer sadomasochistischen Affäre ablesen. Doch selbst die scheitert. Das Scheitern zieht sich durch ihre Biografie wie Kaugummi am Schuh. Sie schreibt so trocken darüber, dass es amüsant ist. Tamara Marszalkowski

Chris Kraus „Aliens & Anorexie“ ( Aus dem Englischen von Kevin Vennemann. Matthes & Seitz Berlin, 300 S.,ca. 16 Euro )

 

Missy Magazine 06/21, Buchrezis, Die verschissene Zeit

 Die verschissene Zeit
Belgrad, 1990er-Jahre, die Jugoslawienkriege toben. Schwerer Tobak, mag man bei diesen Schlagworten denken. Ist es auch, doch die in Wien lebende serbische Autorin Barbi Marković beamt die Leser*innen in ihrem Roman „Die verschissene Zeit“ in ein crazy Panoptikum dieser Zeit. Sie richtet den Fokus auf drei Jugendliche und zeigt, dass nerviger Alltag eben auch im Bürgerkrieg herrscht – vor allem als Aufwachsende in den Straßen Belgrads. Da gibt es gewalttätige Mitschüler, die neuesten Drogen, die angesagte, leider viel zu teure Jeans, das eigene Selbstbild, mit dem jeder so kämpft. Und damit nicht genug taucht auch noch eine – Achtung! – Zeitmaschine auf. Diese klemmt leider und switcht munter zwischen verschiedenen Jahren hin und her. Was heute cool war, ist morgen out, was 1993 Fakt, schon 1999 Geschichte. Dabei haucht Marković dem Leben im Belgrad der 1990er-Jahre ausdrucksstarkes Leben ein. Detailverliebte Beschreibungen und heftigste Flüche – …

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