Von Lena Hohl

Frauen sind schlecht im Einparken – das liegt in ihrer Natur!“ Sätze wie diese kennen viele von uns. Was klingen soll wie ein biologischer Fakt, fällt eigentlich in die Kategorie des Neurosexismus. Neurosexistische Aussagen basieren auf der Annahme, dass es grundlegende Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Gehirnen gibt, die die Unterlegenheit von Frauen in bestimmten Bereichen erklären. Der Begriff ist relativ jung, doch schon im 19. Jahrhundert sah Evolutionsforscher Charles Darwin das weibliche Geschlecht als biologisch unebenbürtig. Tatsächlich existieren Studien, die funktionale und anatomische Unterschiede im Gehirn bei Männern und Frauen zeigen. Durch die Entdeckung geschlechtsabhängiger Aktivitäten in bestimmten Hirnregionen, die z.B. mit dem Erlernen von Sprachen oder der räumlichen Verarbeitung in Verbindung gebracht werden, haben Studien in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass sich bestimmte Stereotype fest etablierten und geschlechtsspezifische Unterschiede als angeboren betrachtet wurden. Etwa, dass Männer logischer seien und Frauen empathischer. Solche Stereotype wurden immer wieder missbraucht, um unter dem Deckmantel der Wissenschaft bspw. zu rechtfertigen, dass weniger Frauen in Führungspositionen vertreten sind.

Dass Hirnregionen, die für bestimmte Fähigkeiten zuständig sind, bei einer Person aktiver sind als bei einer anderen, heißt aber nicht, dass diese Unterschiede angeboren sind. Unser Gehirn reagiert permanent auf äußere Einflüsse und verändert sich auch dementsprechend. Letztlich ist es der Formbarkeit des Gehirns – der sogenannten „Hirnplastizität“ – zu verdanken, dass wir in der Lage sind, neue Fähigkeiten zu erlernen und uns bei Bedarf an neue Anforderungen anzupassen. Angesichts dieses großen Einflusses der Umwelt auf das menschliche Gehirn liegt die Vermutung nahe, dass auch die äußere Wahrnehmung des Geschlechts einer Person und die damit verbundenen Vorurteile Einfluss auf die Hirnentwicklung haben könnten.

Dem Bild des geschlechtsspezifischen Gehirns steht außerdem bereits seit einigen Jahren eine konträre Erklärung gegenüber. Hirnforscher*innen konnten zeigen, dass das Gehirn von Männern und Frauen viel mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede aufweist. Betrachtet man eine einzelne Person, so setzt sich ihr Gehirn aus einer Vielzahl verschiedener Features zusammen, die in Summe nicht ausschließlich „männlich“ oder „weiblich“ sind. Diese Forschungsergebnisse nehmen neurosexistischen Aussagen wie „Frauen können von Natur aus nicht logisch denken“ den Wind aus den Segeln. Mittlerweile rücken nicht-binäre und trans Personen ebenfalls in den Vordergrund der Hirnforschung, was in naher Zukunft zusätzliche Aufschlüsse bringen wird und dazu beitragen könnte, von der veralteten Sicht endgültig abzukommen.

Stereotype von Frauen und Männern existieren nach wie vor. Sie formen unser Gehirn und unser Gehirn spiegelt folglich die immer noch tief verwurzelte binäre Sicht auf Menschen wider. Neurosexismus ignoriert diesen Einfluss auf die Gehirnentwicklung. Doch nicht nur unser Umfeld formt unser Gehirn – wir formen auch unser Umfeld. Was würde also passieren, wenn wir uns von unseren geschlechtsspezifischen Vorurteilen befreien würden? Lasst es uns herausfinden!

Lena Hohl arbeitete in der infektiologischen Forschung an der Medizinischen Universität Wien und widmet sich nun der Neurowissenschaft.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 06/21.