Von Hengameh Yaghoobifarah
Illustration: Eva Feuchter

Nach dem Tod ihrer Mutter führt es Emma Hernandez in der Serie „Vida“ zurück nach Boyle Heights in Los Angeles. Dort ist sie nicht nur mit ihrer chaotischen Schwester Lyn konfrontiert, sondern auch mit den Hinterlassenschaften ihrer Mutter Vidalia. Vida vermacht ihren Töchtern ein Gebäude mit ihrer Bar und einigen Wohnungen sowie einen Schuldenberg und viele Geheimnisse, darunter ihre Lebensgefährtin Eddy. Emma trauert nicht nur, sondern ist in erster Linie wütend auf ihre verstorbene Mutter. Ausgerechnet die Frau, die sie als Kind aufgrund ihrer Queerness verstoßen hat, soll selbst in einer lesbischen Beziehung gewesen sein? Und hinterlässt ihren Kindern auch noch ihre Probleme?
 Trotzdem tauscht Emma ihr geordnetes Leben in Chicago mit gut bezahltem Firmenjob, Unabhängigkeit und Eigenverantwortung gegen das Familiendrama. Zurück in L.A. überwältigt sie eine Krise nach der anderen – und ihre Vergangenheit. Für den zum neoliberalen Yuppie verkommenen Eiswürfel Emma, die Gefühle strikt von Business trennt und ihre Ziele ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen weiß, wird das neue Leben zu einem täglichen Rausschmiss aus ihren Gewohnheiten. Eine Realitätsschelle folgt der anderen, so auch die Tatsache, dass Assimilation und Kapital nicht vor Rassismus schützen.

Missy Magazine 06/21, Lieblingsstreberin, Emma Hernandez
© Eva Feuchter

Während queere Seriencharaktere immer mehr Screentime bekommen, ist Emma eine der komplexesten ihrer Art. Sie ist weit davon entfernt, moralisch einwandfrei zu handeln. Doch mit ihr gelingt es den Macher*innen von „Vida“, ein beeindruckendes Ensemble an Charakteren zu erschaffen, in dem die Grenze zwischen Verbündeten und Gegner*innen genauso mehrdimensional verläuft wie im echten Leben: Vor lauter Konflikten im engen Kreis verlieren die Akteur*innen schnell aus dem Blick, wer für sie die größte Bedrohung darstellt. Und so landet Emma als Verkörperung eines Girlboss mit Kalkül immer wieder auf der Seite der „Bösen“. Doch Emmas Motive rühren nicht von Gier und Boshaftigkeit her, sondern sind Überlebensmodus, dessen Hintergründe sich im Laufe der Serie entfalten.

Die ersten drei Staffeln von „Vida“ laufen auf Starzplay. Für Mai 2022 ist eine vierte angekündigt.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 06/21.