TEXT: Josephine Apraku
ILLUSTRATION: El Boum

CN: In dieser Kolumne setze ich mich mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch und traumatischen Erfahrungen mit Ärzt*innen auseinander. Bitte gib acht auf dich, während du den Text liest, oder speicher dir die Kolumne ab, um sie an einem anderen Zeitpunkt, der für dich besser geeignet ist, zu lesen.

Tag 1:

Es ist ein Donnerstagmorgen Ende September. Das Wetter ist mild, so mild, dass ein Pulli ausreicht. Nachdem ich das Kind zur Kita gebracht habe, gehe ich noch schnell in eine Drogerie, einen Schwangerschaftstest kaufen. Seit ich nicht mehr stille, mache ich das immer mal wieder, weil mein Zyklus sich verändert hat und ich diesen neuen Rhythmus noch nicht so richtig durchsteige. Der Schwangerschaftstest soll einfach nur meine Annahme –  nämlich, dass ich nicht schwanger bin –  bestätigen und mir den Stress des Grübelns ersparen. 

Josephine Apraku

ist nicht mehr ganz so neues Elternteil, macht Bildungsarbeit zu Diskriminierungskritik, schreibt Dinge und gründet gerade neu.

Ich sitze auf dem Klo und mache den Test, wie es auf der Packung beschrieben wird. Ich wähle die wenig praktikable Variante, das Teststäbchen in den „Mittelstrahl“, wo auch immer das genau sein soll, zu halten. (Wenn du mal einen Test machst, mach es anders, hol dir ein Behältnis, das geht deutlich einfacher.) Noch als ich auf dem Klo sitze, erscheinen zwei Striche und ich wundere mich, weil ich kurz davon ausgehe, dass dieser Test anders funktioniert als die anderen, die ich kenne: zwei Striche gleich nicht schwanger? Ich gleiche mein Ergebnis mit der Verpackung ab. Ich bin schwanger. Ich erhebe mich und fühle erste Anflüge einer Panikattacke. Kurz durchatmen, die Klarheit kommt zurück und mit ihr das Rechnen. Wie kann das passiert sein? Ich verstehe es nicht.

Tag 1 ½:

2021 war für mich ein hartes Jahr. Ich fühle mich, als hätte ich zehn Jahre in einem erlebt, und bin unsicher, wie lange ich brauchen werde, um mich davon zu erholen. Ich kann nicht schwanger sein, dazu fehlt mir die Kraft und für ein zweites Kind auch. Mein Hirn macht, was es so oft eingeübt hat: Es schaltet auf survival mode. Ich gehöre nicht zu denen, die Schmerz und Unsicherheit zu ertränken, zu übertünchen versuchen. Mein Weg hat mich, gefühlt schon immer, mitten durch alle Empfindungen geführt. Das prägt mich so wesentlich, dass die meisten, auch die, die mich innig kennen, es kaum an mir bemerken. Eine strukturierte To-do-Liste und ein Plan sind das Ergebnis von einigen wenigen Minuten des Nachdenkens. 

  1. Im Internet recherchiere ich den Kontakt einer Beratungsstelle, die nur wenige Minuten zu Fuß von meinem Zuhause entfernt ist. Eine pragmatische Wahl, weil ich ja zwischen Arbeit und Kinderbetreuung einen Beratungstermin für den Schwangerschaftsabbruch, für den ich mich irgendwie schon entschieden habe und irgendwie nicht, werde quetschen müssen. 
  2. Es folgt das „Beratungsgespräch“, das eigentlich keines ist, denn es steht mir ja nicht frei, die Beratung zu wählen. Als Mensch, der als Frau gelesen und kategorisiert wird, wird mir in einer patriarchalen Gesellschaft abgesprochen, mündig genug zu sein, Entscheidungen für mich und meinen Körper zu treffen – too bad. Die Frau, mit der ich das Gespräch am Telefon führe, ebenfalls eine pragmatische Entscheidung, ist freundlich. Sie fragt mich zu Beginn, ob ich eine Tendenz hätte, ich frage sie zum Schluss, wie es sich anfühlt, Beratungen durchzuführen, die nicht freiwillig sind.
  3. Ich hole die Bescheinigung über die Beratung ab und lasse mir Listen von Ärzt*innen geben, die medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche oder solche vornehmen, die nicht unter Vollnarkose stattfinden. 
  4. Ich wähle eine Ärztin in meiner Umgebung.

Tag 2 bis 5:

In den Tagen vor dem Abbruch geht es mir schlecht. Der Druck, die „richtige“ Entscheidung zu treffen, lastet sehr auf mir, die ersten Zeichen der Schwangerschaft auch. Ich denke an mein Kind und daran, wie sehr ich es liebe. Auch daran, dass der kleine Zellhaufen in meinem Uterus sicherlich auch eine tolle Person werden würde. Aber ich will eben auch nicht schwanger sein. Schon jetzt sind mir die leichte Übelkeit, die extreme Müdigkeit gepaart mit meiner grundsätzlichen Erschöpfung zu viel. Ich weine viel und google mehr. Z. B., ob es viele Menschen gibt, die einen Schwangerschaftsabbruch bereuen und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich es bereuen könnte. Ich google auch Pro-und-Contra-Listen für meine Situation. Eine tatsächlich hilfreiche Perspektive finde ich in der britischen Tageszeitung „The Guardian“, dort wird eine Philosophin zitiert, die schlicht erklärt, dass die Problematik im Treffen von Entscheidungen vor allem darin liegt, dass die eine nicht zwingend besser ist als die andere, sondern anders. Mir hilft das, den Absprung vom Emo-Karussell, von „besser“ und „schlechter“, „richtig“ und „falsch“, zu schaffen. 

Tag 6:

Die Sprechstundenhilfe gibt mir direkt einen Termin für den gleichen Tag. Ich fülle einen Zettel aus, den ich, nachdem mich beim Überfliegen die Worte „unwiederbringlich zerstört“ an einer Stelle daran erinnern, dass ich eigentlich nicht darf, was ich will, und das, was ich will, illegal ist, es aber schlicht nicht strafrechtlich verfolgt wird. 

Im Behandlungsraum stellt die Ärztin die Schwangerschaft fest. Ich bitte sie um ein Ultraschallbild, weil ich nicht vergessen will, sondern eine Erinnerung haben möchte. Sie schaut mich verständnislos an, schließlich sei ich ja wegen eines Schwangerschaftsabbruchs da. Ich fühle mich in diesem wie in fast allen Momenten dieser Situation so unwohl, wie es das Gesetz und diese scheiß-sexistische Gesellschaft für mich vorgesehen hat. Wir setzen uns an ihren Tisch und sie erklärt mir kurz den Vorgang: Eine Tablette nehme ich gleich, oral, ein. Die restlichen vier 48 Stunden später vaginal. Weil ich in dieser Praxis, in der ich nie vorher war, keine Pille einnehmen will, frage ich, ob ich die erste Dosis zu Hause einnehmen kann. 

An der Anmeldung bittet mich die Sprechstundenhilfe, mit der ich den Termin vereinbart hatte, 420 Euro zu bezahlen, damit sie mir die Tabletten geben kann. Ich möchte mit Karte zahlen, muss aber, ohne dass ich dazu informiert wurde – immerhin habe ich deshalb am Telefon angegeben, dass ich selbst zahle –, bar bezahlen. Also gehe ich zur Bank. Ich muss auf dem Weg eine Pause machen, weil ich so weine, das der Gemüsehändler an der Ecke fragt, ob ich Hilfe brauche. In meinem Kopf flackern die Antworten „ja“, „nein“ und „danke, für deine Sorge, die so wenig selbstverständlich ist, dass es mich fast noch trauriger macht“. 

Erst kurz nachdem die Praxis schließt, komme ich zurück. Die Sprechstundenhilfen, es sind nun zwei, sind sichtlich genervt und bitten mich, die erste Tablette am Empfangstresen einzunehmen. Ich verweigere, weil die Entscheidung für mich so schwer wiegt und ich mit einer solchen Last am liebsten für mich bin. Es entsteht eine kurze Diskussion, in der ich sage, dass ich das nicht hier und vor allem nicht allein machen will und in der eine der Sprechstundenhilfen unaufgefordert sagt, dass ich das Geld nun auch nicht zurückfordern könne. Ich finde ihre Aussage ekelhaft, weil sie nicht einen Hauch von Empathie trägt und mir etwas unterstellt, dass ich kaum klar oder nur mit vielen Worten benennen kann. Ich verlasse die Praxis unverrichteter Dinge. 

Tag 7 und 8:

Es geht mir schlecht. Ich fühle mich dem Mohnkörnchen in meinem Uterus gegenüber zwiespältig: Einerseits kann ich wirklich einfach nicht und meine Entscheidung steht auch irgendwie fest. Andererseits frage ich mich, was für ein Geschwisterkind Kind 1 wäre, wie die beiden sich verstehen würden. Ich lasse zu, dass sich all das scheiße anfühlt und versuche nicht, es besser zu machen.

Ich überlege, ob es einen Weg gibt, nicht noch mal in die Praxis zu müssen, und komme zu dem Schluss, dass es den bestimmt gibt, dass ich aber nicht die Energie habe, um mich noch mal neu zu kümmern (noch mal das Schreiben für die durchgeführte Beratung abholen, erklären, warum ich die erste Bescheinigung nicht mehr habe, eine neue Praxis suchen, erneut die Schwangerschaft feststellen lassen, wieder viel Geld bezahlen, weil dieser Teil gesundheitlicher Versorgung eben nicht selbstverständlich ist, sondern unnötig erschwert wird). 

Tag 9:

Anfang Oktober: Ich gehe wieder in die Scheißpraxis. Viel Zeit habe ich nicht, weil ich im Anschluss, also nachdem ich die erste Tablette genommen habe, einen ganztägigen Workshop leite. Ich gehe rein und werde in ein Nebenzimmer geführt, in dem ich „in Ruhe“ die erste Tablette nehmen darf. Das alles zusammen dauert kaum mehr als vier Minuten. Auf dem Weg nach Hause weine ich und überlege, ob ich die Pille auskotzen soll. Ich tue es nicht, gönne mir aber die zehn Minuten, bevor der Workshop beginnt, um wenigstens kurz zusammenzubrechen. 

Tag 10 und 11: 

Das Wochenende verbringe ich im Bett. Ich kann nicht sagen, ob es der medikamentöse Abbruch ist, der mich schwächt, oder die Übelkeit und Müdigkeit, die mit der Schwangerschaft einhergehen. 

Ich befolge den Rat einer US-amerikanischen Planned-Parenthood-Seite im Internet und nehme, noch bevor ich die letzten vier Tabletten einführe, eine Ibuprofen. Die Unterleibschmerzen, die folgen, sind so und mit Wärmflasche gut aushaltbar. Ich höre den Tag über einige Podcasts, versuche, etwas zu essen, und google außerdem, wie lange die Schwangerschaftssymptome mich begleiten und welche Nachwirkungen noch auf mich zukommen.

Inzwischen bin ich bei „unwiederbringlich zerstört“ angekommen, eine leichte, dann stärker werdende Blutung beginnt. Darüber bin ich zwar traurig, aber ich fühle auch eine gewisse melancholische Ruhe, die an die Stelle von Druck und Verzweiflung tritt. Darüber bin ich froh. Vielleicht muss ich, wie es der Prozess um einen Schwangerschaftsabbruch glauben machen könnte, doch nicht für immer bereuen.