Podcasttipps 01/22
Von
The Ballad Of Billy Balls
True Crime ist ein schwieriges Genre – gerade weil sich viele Formate auf junge, weiße, vergewaltigte Frauen konzentrieren. Dass True Crime auch anders erzählt werden kann, beweist iO Tillett Wright. Der trans Künstler geht in „The Ballad Of Billy Balls“ dem Mord an der großen Liebe seiner Mutter nach, dem Punkrocker Billy Balls, der drei Jahre vor iOs Geburt von einem Polizisten im East Village erschossen wurde. Die 13 Folgen von „The Ballad Of Billy Balls“ erzählen dabei von mehr als nur einem Mord. Der Podcast handelt auch vom prägentrifizierten New York, von der sehr intensiven Beziehung zwischen iO und seiner Mutter und seinem Aufwachsen mit ihr, die so unkonventionell war, dass er sich einerseits schon als Kind als Junge bezeichnen konnte, es aber andererseits oft weder Strom noch Essen in der Wohnung gab. Und es geht um eine brennende Liebe, die auch Jahrzehnte später noch besteht. Schritt für Schritt findet der Podcaster heraus, wer dieser Mann war, warum Billy erschossen wurde, was mit seiner Leiche geschah. iO versucht, seiner Mutter 37 Jahre nach dem Mord eine Art Abschluss zu ermöglichen. Übrigens: Wer sich für iO Tillett Wrights Leben als trans Kind und Jugendlicher, für das raue Manhattan der 1980er- und 1990er-Jahre und für die außergewöhnliche Beziehung zwischen ihm und seiner Mutter interessiert, kann nach dem Hören sein Memoir „Darling Days“ lesen. Isabella Caldart
„The Ballad Of Billy Balls“ Crimetown Presents & iO Tillett Wright, 30–45 Min., theballadofbillyballs.com
Call Me Mother
Wohin gehe ich, wenn ich mich um mich selbst nicht mehr kümmern kann und in Senior*innenwohnheimen die Menschen leben, vor denen ich mich mein Leben lang in Wahlfamilien gerettet habe? Wie hat man sich in der Aids-Krise organisiert? Auf wessen Erfahrungen lässt sich zugreifen, wenn ich heute Homo- und Transfeindlichkeit erlebe? Diese und weitere Fragen verhandelt die Autorin Shon Faye („The Transgender Issue“) in ihrem Podcast „Call Me Mother“, der Anfang 2021 erschien und auf allen Podcast-Plattformen zu hören ist. Faye spricht in acht Folgen mit ausschließlich über sechzigjährigen Queers, deren Lebensgeschichten unterschiedlicher nicht sein könnten. So unterhält sie sich u. a. mit der nicht-binären, queertheoretischen Autor*in Kate Bornstein, die eines der wichtigsten Bücher zum Verständnis von Nicht-Binarität schrieb und Leslie Feinberg freund*innenschaftlich verbunden war, aber auch mit der ersten trans Offizierin der britischen Streitkräfte, Caroline Paige. Die queere Community ist ähnlich fixiert auf jüngere Menschen wie die cis heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft. Oft wird nur mit ihnen gesprochen. Damit möchte „Call Me Mother“ bre- chen und eine Oral History für Queers, aber auch alle anderen erschaffen, die sich für vergangene queere Kämpfe interessieren. Renée Grothkopf
„Call Me Mother“ Shon Faye, 30–60 Min., callmemother.libsyn.com
Diese Texte erschienen zuerst in Missy 01/22.