Text: Sascha Rijekeboer

In meinem Werdegang von „ich verstehe nicht, wieso T in LGBT drin ist“ zu „oh, ich bin selbst ein T“ hin zu „ist es nicht vermessen, mich als trans Aktivist*in zu bezeichnen?“ bin ich mittlerweile bei der Selbstbezeichnung „TransPop-Aktivist*in“ angelangt bzw. back to „ist es vermessen, mich als trans Aktivist*in zu bezeichnen?“. What’s next? Ich weiß es noch nicht, aber ich bleibe gespannt. Nun aber, wie es dazu kam:

Ich outete mich ein erstes Mal mir selbst gegenüber, als ich circa 18 Jahre alt und frisch von zu Hause ausgezogen war. Ich tummelte mich damals auf einer LGB-Plattform rum, sie hieß „Purplemoon“, eine Art prähistorisches Lesben- und Schwulen-Tinder der Deutschschweiz. Ich glaube, Bisexuelle gab es schon auch einige, aber nicht viele. Trans Personen gab es gar nicht, bis auf ein Profil, das ich mir immer wieder ansah, obwohl ich damals auch noch der Ansicht war, dass trans Personen und Gay People nichts miteinander gemein hätten. Er hieß Gino* und schrieb unentwegt darüber, dass er ein Mann sei, wobei ich ihn als Lesbe las. Er hatte viele traurige Bilder in seinem Profil, es schien ihm nicht besonders gut zu gehen. Ich schrieb ihm eines Nachts, dass ich auch einen Gino in mir hätte, er hieße „Joey“ – so hätte ich geheißen, wenn ich ein Bub gewesen wäre. Gino antwortete mir, er sei wirklich ein Typ, meine spekulative Situation sei mit seiner nicht zu vergleichen, er könne mich nicht ernst nehmen, denn es sei ein SEHR KLARES Gefühl, das man habe. Kein „vielleicht“ und „ähnlich“ und „irgendwie“.

© Rahel Suesskind

Zur gleichen Zeit begegnete ich zwei weiteren Darstellungen von trans Maskulinität: einmal einem kurzen Bericht über einen trans Mann aus Deutschland, ca. dreißig Jahre alt, verstoßen von der Familie, Selbsthass, Erwerbslosigkeit, Depressionen, Sucht. Das andere Beispiel war ein Balian Buschbaum, davor bekannt als Stabhochspringerin, die er nie war. Er war ein hotter, trainierter, gesunder, schöner weißer Mann. Auf die Frage des Journalisten, warum er ein so authentischer Mann sei und einen so hotten Body hätte, antwortete er, das sei nur so, weil er davor Spitzensport betrieben hätte. Meine Hoffnungen schwanden gleich: Gino verstieß mich, wie der andere wollte ich nicht sein, weil mir Marginalierung Angst machte, und zu Balian konnte ich nie werden, weil ich Sport hasste.

Sascha Rijkeboer

Sascha hieß nicht immer Sascha. Aber jetzt heißt Sascha so. Sascha kam 1992 in den Niederlanden als Kind eines holländisch/tschechischen Paares zur Welt. Zur Zeit arbeitet Sascha in einer Bar in Basel, setzt sich für queerfeministische Anliegen ein und leistet als non-binäre trans Person Öffentlichkeitsarbeit in unterschiedlichen Kontexten, z. B. schreibt Sascha aktuell Kolumnen für Bajour und das Missy Magazine. Sascha tourt mit einem queer Spoken-Word-Programm in der Deutschschweiz.

Ich verwarf die Idee, trans zu sein – oder vielleicht präziser interpretiert: Ich unterdrückte die Gewissheit, mich nicht mit dem mir bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren zu können. Es war noch ein weiter Weg bis zur Selbstbezeichnung „Trans Aktivist*in“. Erst musste sich ein Lehrer am Gymnasium, an dem ich mein Abitur nachholte, als trans outen, um mir meinen inneren Weg zu ebnen – indem er mir Mut machte. Fortan las ich in Foren, besuchte trans Treffs, eignete mir immer mehr an, mich selbst überhaupt als trans zu bezeichnen. Mein Umfeld reagierte schleppend, man brauche Zeit das zu verarbeiten oder es sei eine Phase, ich sei doch schon immer etwas extra gewesen. Man warf mir vor, ich würde eine Art Trend verfolgen. Außerdem würde sich das jede Lesbe einmal fragen, sagten die Lesben.

Nach einigen Auftritten in der Öffentlichkeit war es irgendwann normal, dass ich eine öffentliche trans Person bin. Ich weiß darum nicht, wann ich mich das erste Mal selbst als „Trans Aktivist*in“ bezeichnete, aber ich weiß, dass ich es für vermessen hielt. „Aktivist*innen“, das waren doch so Leute wie Alok Vaid-Menon, Sophie Labelle oder Marsha P. Johnson, dachte ich. Ich glaube, ich eignete mir den Begriff nur an, weil ich dadurch in eine Sprecher*innenposition kam, die angeblich mehr oder Gewichtigeres aussagen würde als „Das ist Sascha und Sascha ist trans non-binar“.

In meiner Sichtbarkeitsarbeit fokussierte ich mich jeweils auf Erklärbär-Positionen. Ich war nie Denkfront, ich war nie Theoretiker*in, ich war einfach „Sascha, trans Aktivist*in, angetreten, um das Unwissen von cis Menschen aufzubessern, sowie Vorbild für viele non-binäre Personen. Ich war nicht Balian Buschbaum, aber stets bemüht, ein „greifbares“ positives Bild von „non-binary“ zu repräsentieren. Eines, das nicht abschreckt, denn Horrorgeschichten versuchte ich, außen vor zu halten. Ich wollte ein Bild repräsentieren, das zeigt, wie gut und richtig es sich anfühlt, ein Etwas zu sein, für das es eigentlich keine Sprache gibt. Ich wollte Mut machen, wie mir der Lehrer am Gymnasium Mut machte.

Mit der Sichtbarkeit kam mehr Sichtbarkeit, ja sogar minimale Popularität. Letztens wurde ich an einem Festival als „non-binäre Galionsfigur der Deutschschweiz“ bezeichnet und mir wurde die Frage gestellt, wie ich mit dieser Machtposition umgehe. „Eine schwierige Frage“, antwortete ich. „Ich glaube, ich habe um die fünf Antworten.“ Einerseits gibt es mir ein gutes Gefühl, es fühlt sich gut an, gemocht und respektiert zu werden. Es gibt mir auch Kraft, mich weiterhin diesen Themen zu widmen, es setzt Kräfte frei. Weiters motiviert es mich, diese Verantwortung ernst zu nehmen und nach außen zu tragen. Es sei aber manchmal schwierig, sich selbst zurückzustellen, anderen Leuten nicht den Platz zu nehmen. Mit dieser Machtposition gingen nämlich auch Privilegien einher: Ich erhalte manchmal tatsächlich gut bezahlte Anfragen für allerlei: Auftritte, Werbung, Education, Kolumnen … Mit meiner Glaubwürdigkeit und Position und „Bekanntheit“ wird mein non-binary-Sein plötzlich zum Vorteil und Type-Casting erlaubt es mir, oberflächliche Diversity-Bedürfnisse einzulösen. Es sei schwierig, diese Anerkennungen nicht anzunehmen, insbesondere wenn finanzielle Engpässe herrschen und ich darauf angewiesen bin.

Ich bin sehr sichtbar, aber in der letzten Zeit pflege ich eher das Selbstbild der anderswertig-interessierten trans Person. Ich nutze soziale Plattformen nur noch wenig für trans Education. Vielmehr inszeniere ich mich als Filterkaffee-Afficionado, nehme die Leute mit zum Bierbrauen und rein in meine Freund*innenkreise, wo ich einfach „Spaßhaben“ performe. Mein Transsein ist nicht mehr im Vordergrund meiner Selbstdarstellung, es ist eher eine Information nebenbei. Deswegen werfe ich mir vor: Mir steht nicht mehr zu, mich als „trans Aktivist*in“ zu bezeichnen, ich pose in der letzten Zeit doch nur rum – und manchmal krieg ich sogar Geld dafür. Es wird mir zuweilen unangenehm, mich als „trans Aktivist*in“ zu bezeichnen. Ich bin doch mittlerweile mehr trans Kitsch als trans Aktivist*in, ich bin doch mehr Influencer*in, so eine Art „TransPop-Aktivist*in“?

Und das widerspricht sich irgendwie: Oberflächlichkeit und Aktivist*in? Aber es ist wichtig, dass da immer noch „Aktivist*in“ mit drin ist, denn ich schreibe z. B. gerade diese Kolumne, ich muss jeden Tag cis Menschen aufklären, mich erklären oder traue mich, in cisnormativen Räumen, auf ebendiese Struktur hinzuweisen – und auch als trans Influencer*in werden Follower*innen gezwungen, Stereotype zu hinterfragen und sich an queere Körper zu gewöhnen. Ich bezeichne mich aus diesem Grund zurzeit liebevoll als „TransPop-Aktivist*in“.

Wenn ich jedoch wichtige Briefe an z. B. kulturelle Institutionen unterzeichne, die eine unerfüllte Diversity-Politik anklagen, dann bezeichne ich mich nach wie vor und sehr bestimmt und einfordernd als „trans Aktivist*in“ mit allem Mut, den so eine Behauptung erfordert. Und mit all dem Vorwurf, den diese Bezeichnung mit sich bringt: „Diese Bezeichnung braucht es nur, weil du trans Menschen im Weg stehst.“

*Name geändert