Text: Sascha Rijkeboer

Ich bin gerade unterwegs nach Zug mit dem Zug, während ich meine letzte Kolumne schreibe. Zug liegt in der Zentralschweiz und in Zug ist mein Gynäkologe, der mir in etwas mehr als einer Stunde meine erste Spritze Testosteron initiieren wird.

Ich freue mich auf diesen Moment. Das Narrativ würde jetzt verlangen, dass ich sage: „Ich habe sehr lange auf diesen Moment gewartet.“ Aber das stimmt nur so halb. Scherzhaft bezeichne ich mich oft als eine der am längsten transitionierenden trans Menschen, die ich kenne. Natürlich transitionieren wir alle und unser Leben lang, aber ich meine damit dieses Verharren in einer Zwischenwelt, weil keine volle, „binäre“ Transition stattfindet. Ich habe nämlich für fünf Jahre Testosteron ge-microdosed. Also so, wie das Silicon Valley LSD nimmt: nämlich nur ein bisschen.

© Xueh Magrini Troll

Seit etwas mehr als einem halben Jahr habe ich die Dosis jedoch erhöht, sie fühlt sich gut und richtig an und ich glaube, dass ich diese ultralange Zeit brauchte bis zu meiner ersten Spritze. Für die, die noch nie von all dem gehört haben: Zurzeit benutze ich ein Gel, das ich jeden Tag auftrage, so kann ich die Dosierung steuern. Bei der Spritze wird ein einmaliges Depot initiiert, das vom Körper kontinuierlich abgebaut wird. Eine so präzise Dosierung bzw. ein „Microdosing“ ist da nicht möglich.

Sascha Rijkeboer

Sascha hieß nicht immer Sascha. Aber jetzt heißt Sascha so. Sascha kam 1992 in den Niederlanden als Kind eines holländisch/tschechischen Paares zur Welt. Zur Zeit arbeitet Sascha in einer Bar in Basel, setzt sich für queerfeministische Anliegen ein und leistet als non-binäre trans Person Öffentlichkeitsarbeit in unterschiedlichen Kontexten, z. B. schreibt Sascha aktuell Kolumnen für Bajour und das Missy Magazine. Sascha tourt mit einem queer Spoken-Word-Programm in der Deutschschweiz.

Ich empfing sämtliche Veränderungen durch das Gel immer euphorisch: Ich fühlte mich fitter, psychisch stabiler, ich mochte meinen Stimmbruch und die feinen Haare auf der Oberlippe. Einzig über den sogenannten „Happy Trail“, war ich zuerst nicht so „happy“. So nennen transmaskuline Menschen ihre Bauchbehaarung.

Nun aber die volle Dröhnung! Ich merke, dass ich trotz micro-Euphorie ausgebrannt bin: Ich habe mich vor sechs Jahren als trans geoutet und verhalte mich so richtig androgyn, wie nach Lehrbuch, um es einer binary-fetish Gesellschaft etwas leichter zu machen, mich nicht die ganze Zeit als Frau einzulesen. Trotzdem passiert das in 99 von 100 Fällen. Meine Stimme ist zu hoch, mein Habitus zu feminin, mein Schnauz eben eher ein Damenbart, mein Körper zu weich. Ich habe keine Energie mehr dafür übrig, ständig als „sie“ bezeichnet zu werden. Als „er“ möchte ich auch nicht bezeichnet werden, aber ich habe den Eindruck: Männlichkeit lässt sich einfacher pervertieren. Es ist viel einfacher, „kein richtiger Mann“ zu sein als „keine richtige Frau“. Frauen dürfen Anzüge tragen und Girlboss sein und Bier saufn und und und, aber Männer dürfen keine Röcke tragen, sich nicht schminken, sie dürfen keine sexistischen Witze in Männerrunden blöd finden und so weiter. Vielleicht wird mich das auch wieder ausbrennen, aber ich stelle es mir einfacher vor: unmännlich zu sein.

Es macht mir aber auch Angst und folgende Zeilen sind auch ein Grund dafür, warum mir die Entscheidung so lange so schwerfiel, meine Testosterondosis – die mich zwangsläufig stärker virilisieren würde – zu erhöhen: Ich fühle mich sehr wohl in Frauenkreisen, mein soziales Geschlecht ist definitiv viel „weiblicher“ als „männlicher“. Ich habe Angst, dass Feminist*innen in mir eine Verräterin sehen könnten, dass sie mir nur noch männliche Privilegien attestieren und dabei komplett ignorieren, dass „Transsein“ eine Diskriminierungskategorie ist. Ich fürchte, aus solchen Kreisen ausgeschlossen werden zu können und im öffentlichen Raum als Bedrohung wahrgenommen zu werden, dass Mütter ihre Kinder von mir wegziehen würden, weil ich in einer Geschlechterklasse „Mann“ klar ein Pädophiler sein muss, wenn ich einem fremden Kind, das mich anlächelt, winke, wobei ich in der Geschlechterklasse „Frau“ keine solche Erfahrungen gemacht habe. Ich fürchte mich auch davor, dass mir Gewalt von anderen Männern zustoßen könnte, weil ich vielleicht als „schwul“ gelesen werden könnte, wenn ich mit Männlichkeitsbildern breche.

Ich fahre mit gemischten Gefühlen im Zug nach Zug. Und schreibe vielleicht, irgendwann mal, wieder eine Gastkolummne bei Missy, wie’s mir so geht. Wer weiß, vielleicht ist das auch nur ein einmaliges Try-out und ich bin bald wieder zurück beim Microdosing.