Von Nikita Vogler

Hallo, ich bin Nikita und ich benutze er und they als Pronomen.“ Damit fängt ungefähr jede Vorstellung in queeren und feministischen Kreisen an. Es ist heute Standard. Hänge ich außerhalb von queeren Orten ab, begutachte ich erst mal die Situation und stelle mich nur mit meinem Namen vor, denn meistens verwirren meine Pronomen. Am liebsten würde ich in einer Welt leben, in der ich ausschließlich neutrale Pronomen verwenden kann, ohne mich oder meine Pronomen erklären zu müssen. Leider ist das noch weit weg von der Realität, vor allem im deutschsprachigen Kontext. Bei meinem Outing als nicht-binärer Mensch versuchte ich zuerst, ein geschlechtsneutrales Pronomen für mich zu verwenden. Ich entschied mich für „xier“, weil es das einzige neutrale Pronomen war, das ich schon von anderen nicht-binären Menschen kannte. Leider war die Ablehnung sehr groß. Kaum ein cis Mensch lernte die korrekte Verwendungsweise von „xier“ – einfacher war es für sie, weiter das Pronomen „sie“ zu verwenden. Um nicht mehr so oft misgendert zu werden und vor allem, um nervige Fragen zu vermeiden, entschied ich mich später für das Pronomen „er“. Seitdem laufe ich mit einem binären Pronomen durch die Welt und mit einer größeren Kapazität für andere Sachen.
Ich hätte mir damals gewünscht, auf ein Medium verweisen und sagen zu können: „Sieh her! Neopronomen gibt es.“ Deswegen freut es mich, dass Missy nun zu diesem Medium wird und mit dieser Ausgabe „dey/deren/demm“ als Pronomen für nicht-binäre Menschen einführt.

Geschlechtsneutrale Ansprachen oder Neopronomen sind nichts Neues. In vielen Sprachen sind neutrale Pronomen – seit Jahren – auch außerhalb von queeren Räumen gängige Praxis. Das Englische ist dabei mit dem Pronomen „they“ im Singular das bekannteste Beispiel. Seit dem 14. Jahrhundert wird „they“ in der englischen Literatur verwendet, wenn das Geschlecht der Person unbekannt ist. Das Pronomen hatte seinen ersten Auftritt 1375 in dem Buch „William And The Werewolf“. In den letzten Jahrzehnten haben sich viele nicht-binäre Menschen im Englischen dieses Pronomen angeeignet und es gehört mittlerweile zum Alltag.
Schweden ist eine*r der Vorreiter*innen bei der Etablierung von neutraler Sprache. Das im Jahr 1960 konzipierte Pronomen „hen“ findet im Schwedischen, neben „han“ (dt.: er) und „hon“ (dt.: sie) Gebrauch und bietet eine neutrale Alternative. Zunächst war es hauptsächlich in feministischen und queeraktivistischen Kreisen bekannt. Schlagzeilen machte „hen“ dann im Jahr 2015, als es in schwedische Wörterbücher aufgenommen wurde. Zuvor gab es größere Debatten um das neutrale Pronomen, einige Zeitungen versuchten sogar, die Benutzung in ihren Artikeln komplett zu verbieten. Heute ist „hen“ institutionalisiert, Gesetzestexte und Gerichte benutzen das Pronomen in ihrer Arbeit. Die anfangs kontroverse Debatte ist beendet und das Pronomen im schwedischen Alltag etabliert.

Neben Schwedisch gibt es noch weitere Sprachen, in denen Aktivist*innen neutrale Schreib- und Sprechweisen entwickelt haben. Spanisch gehört, obwohl es grammatikalisch sehr geschlechtlich funktioniert, auch dazu. Verschiedene spanisch- sprachige Aktivist*innen haben sich ein Konzept ausgedacht und dieses bereits in größeren Räumen etabliert. Da alle Adjektive im Spanischen an das jeweilige Geschlecht der Person angepasst werden, wurde nun die Sprache um die Endung „e“ erweitert. Statt des männlichen „guapo“ oder des weiblichen „guapa“ für „schön“ kann es jetzt auch „guape“ heißen. Als neutrales Pronomen im Spanischen hat sich „elle“ als Alternative für „el“ (dt.: er) und „ella“ (dt.: sie) etabliert.

Missy Magazine 02/22,Dossier 1: Das Pronomenproblem
© Bär Kittelmann

Es gibt auch Sprachen, die keine geschlechtlichen Pronomen kennen und bei denen daher ein neues neutrales Pronomen gar nicht erst notwendig ist, wie z. B. Türkisch. Darin gibt es kein grammatisches Geschlecht und keine Artikel. Das ist keine Besonderheit, da viele Sprachfamilien auf der ganzen Welt kein grammatisches Geschlecht kennen, so z. B. die austronesische Sprachfamilie (dazu gehören z. B. Hawaiisch, Madagassisch, Tagalog) oder die Quechua- Sprachfamilie. Finnisch gehört mit Ungarisch und Estnisch der uralischen Sprachfamilie an, in der es ebenfalls kein Geschlecht gibt. Viele ostasiatische Sprachen, wie Mandarin oder Koreanisch, sind in ihrer Sprechweise ebenfalls neutral.

Um im Deutschen geschlechtsneutraler zu sprechen und zu schreiben, gibt es verschiedene Möglichkeiten, die auch Missy in der Vergangenheit genutzt hat. Von Beginn an verwendete Missy das Binnen-I anstatt des generischen Maskulinums. Im Jahr 2015 wechselte Missy zum Gendergap (_), nutzte diesen aber nicht in jedem Artikel. 2016 folgte dann der Wechsel zum Gendersternchen (*), sodass es nun Leser*in statt Leser_in oder LeserIn heißt. Missy wechselte damals vom Gap zum Sternchen, da es aus der nicht-binären Community Kritik daran gab, der Gap wirke wie eine Leerstelle. Das Gendersternchen hingegen sei ein eigenständiges Zeichen, welches sehr konkret Nicht-Binarität besetze.

Neben dem Gap (_) und dem Gendersternchen (*) wird auch der Doppelpunkt (:) verwendet. Gesprochen werden die Symbole als kleine Sprechpause. Zusätzlich gibt es die Alternative, neutrale Wörter zu verwenden oder geschlechtliche Begriffe insgesamt zu vermeiden. In meiner Studienzeit wurde aus der Anrede „Studentinnen und Studenten“ der Begriff „Studierende“. Nicht nur Missy setzt auf neutralere Anreden, sondern auch andere, größere Medien. Die „Tagesschau“ etwa benutzt, allerdings bislang nur im Social-Media- Bereich, geschlechtssensible Sprache. Anstatt des Sternchens sieht man dort den Doppelpunkt, da dieser angeblich barrierefreier ist, obwohl auch er nicht von allen Screenreader-Programmen erkannt wird. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wurde der Moderator Claus Kleber, neben Petra Gerster und Jo Schück, zum Vorreiter einer neutralen deutschen Sprache. Im „Heute Journal“ sprach er, animiert durch seine Enkel*innen, geschlechtliche Wörter immer mit einer Pause. Das macht Hoffnung, obwohl es sich weiterhin um Ausnahmen handelt. Die Mehrheit der deutschsprachigen Medien nutzt keine neutrale Sprache, die meisten stecken sogar immer noch im generischen Maskulinum fest.

Bis jetzt gibt es im Deutschen noch keine perfekte und etablierte Lösung, da die nicht-binäre Community sehr divers ist und es nicht unbedingt den Anspruch gibt, ein gemeinsames Pronomen zu entwickeln. Denn es gibt auch unterschiedliche Bedürfnisse und Meinungen zu Pronomen. Das ergibt Sinn, da Pronomen etwas sehr Persönliches sind und nicht vorgegeben werden sollten. Viele nicht-binäre Menschen präferieren z. B. gar keine Pronomen, stattdessen wird der Name benutzt. Andere wiederum verwenden „er“ oder „sie“, entweder allein, zusammen mit anderen Pronomen oder im Wechsel. Es gibt auch sehr viele unterschiedliche neutrale Pronomen, die verwendet werden. In meinem Umfeld benutzen Menschen z.B. „nin“, „ey“ und „mensch“. Am bekanntesten sind jedoch die Pronomen „dey“ und „xier“. Viele nicht-binäre Menschen leisten aktivistische Arbeit, um neutrale Pronomen in der deutschen Sprache zu etablieren. Illi Anna Heger erfand bspw. das Pronomen „xier“ und arbeitete dieses, mit Feedback aus der Community, im letzten Jahrzehnt aus.

Bei Missy haben wir uns für das Pronomen „dey“ entschieden, da es bereits von der nicht-binären Community positiv aufgenommen wird und sich durch die Konjugation gut in die deutsche Sprache einbauen lässt. Das Pronomen „dey“ hat keine klare Entstehungsgeschichte wie „xier“. Erstmals dekliniert wurde es vor fünf Jahren auf dem Tumblr-Blog „nonbinarytransgermany“. „Dey“ entstand wahrscheinlich in verschiedenen und voneinander unabhängigen nicht-binären Räumen, darauf lässt die Vielzahl von unterschiedlichen Deklinationen schließen. In einer Umfrage im Jahr 2021 vom Verein für geschlechtsneutrales Deutsch e.V. wählten die meisten Teilnehmer*innen „dey“ zum beliebtesten Pronomen. Dekliniert wird es bei Missy als „dey/deren/demm“. Eine Konversation, in der das Pronomen benutzt wird, könnte so laufen: „Das ist Nikita, dey sieht in diesem TikTok-Video sehr gut aus. Ich kenne demm von Missy. Das ist deren TikTok-Account.“

Bei Missy fällt es uns schwer, anderssprachige nicht-binäre Menschen in unseren deutschen Texten korrekt anzusprechen. Trotzdem ist es für nicht-binäre Menschen wie mich wichtig, in Texten repräsentiert zu werden. Je mehr ein Begriff, eine Sprechweise oder ein neues Pronomen in Texten, in Gesprächen oder Songs Verwendung findet, desto besser kann es sich im allgemeinen Sprachfluss etablieren. Das Missy Magazine kann durch die Verwendung von „dey“ dazu einen Teil beitragen. Sich als feministisches Magazin in der Debatte um neutrale Pronomen und „Gender und Sprache“ zu positionieren, gehört für mich zu einem intersektionalen Feminismus dazu. Denn Sprache kann Realität schaffen. Sprache ist mächtig.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 02/22.