Vatertante
Von
Von Hannah Schultes
Illustration: Hyunsoo Shin
Erst als meine Tante mütterlicherseits verstarb, erfuhr ich, dass für die meisten Menschen eine Tante nur irgendeine nahe Verwandte ist. Meine Tante war dagegen mehr wie ein zweites Elternteil und hilfreicher als so mancher Vater. Sie war nicht nur bei meiner Geburt dabei, meine Mutter und ich wohnten auch die ersten drei Monate nach der Geburt bei ihr. Nach ihrer Arbeit kaufte sie ein, kochte und machte noch den Haushalt.
Als ich klein war, filmte sie mich stundenlang mit der Videokamera, später spielte sie in meinen selbst gedrehten Inszenierungen uneitel die Rolle, die ich ihr zuteilte. Beim Besuch auf ihrer Arbeit als Tontechnikerin schien es mir rätselhaft, wie sie in diesem Raum voller
Videorekorder, Fernseher und Computer immer genau wissen konnte, welcher Knopf zu drücken war. Es war für mich entsprechend normal, dass sie sich in praktischen Dingen vom Lampenanschließen bis zur Reparatur von Haushaltsgeräten selbst zu helfen wusste.
Sie verbrachte wohl viele Stunden auf der Autobahn in ihrer Rolle als Back-up-Plan, der immer funktionierte, kam zu jedem meiner Geburtstage, betreute mich, wenn meine Mutter krank war, und fuhr mit mir zu Verwandten. Während ich stets dachte, dass sie das alles nur für mich tat, wurde mir mit ihrem Tod erst klar: Auch …