Leben ohne Filter
Von
Von Bahar Sheikh
Illustration: Nadine Redlich
Ich war Mitte zwanzig und nicht in der Lage, eine dreißigseitige Bachelorarbeit zu schreiben, als das erste Mal jemand auf die Idee kam: Vielleicht hast du ADHS. Wenn ich zurückdenke, ist es offensichtlich, aber zu dem Zeitpunkt dachte ich, ich wäre unfähig oder zu depressiv, um mich länger als dreißig Sekunden lang auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Als meine damalige Therapeutin ADHS erwähnte, tat ich es erst mal ab. Ich wusste nichts
darüber, hatte mein Leben lang nur Halbwahrheiten mitbekommen. Es waren also auch meine eigenen Vorurteile und fehlende Informationen, die den Diagnoseprozess verzögerten. Ich ließ ganz in ADHS-Manier noch ein paar Jahre verstreichen, bis ich mich auf die Warteliste eines Psychiaters setzen ließ.
Mit Ende zwanzig bekam ich endlich meine Diagnose. Vor allem bei Frauen ist das die Regel: Jungs sind zwar häufiger von ADHS betroffen, werden aber auch schneller und häufiger diagnostiziert. Da sich die Diagnose bei Kindern oft am Verhalten orientiert und Mädchen „unauffälligere“ Symptome haben, wird bei ihnen halb so oft ADHS festgestellt. Dabei gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede, was die Subtypen angeht. Jungen gehören häufiger dem impulsiv-hyperaktiven Typ an, während Mädchen häufiger dem unaufmerksamen Typ zugeordnet werden. Die drei Subtypen (der dritte ist eine Mischung aus den beiden) lassen sich in MRTs nachweisen. Die meisten ADHS-Studien arbeiten bisher mit binären Geschlechtskategorien, obwohl…