Lange Zeit ging ich durchs Leben, ohne dass mir wirklich bewusst war, dass ich eine Frau bin – und dass das ein Problem sein könnte. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht in einem konventionellen Setting aufgewachsen bin. Ich lebte mit meiner Mutter, meiner älteren Schwester und meinem jüngeren Bruder. Meine Mutter war die Anführerin. Sie trug Röcke, Gewänder und manchmal auch Jeans oder einfach Hosen. Das lag definitiv außerhalb der Normen in unserem Umfeld. Sie hatte einen Uniabschluss. Sie versorgte uns

alle. Sie hatte zwei Jobs. Tagsüber war sie Lehrerin, nachts nähte sie. Wenn sie von ihrem ersten Job nach Hause kam, umarmte sie uns, wir gaben ihr ein kaltes Bier und sie unterhielt sich mit uns. Dann begann ihr zweiter Job. Mein Bruder und ich wurden auf die gleiche Weise behandelt und erzogen. Wenn er mal ein wenig mehr verwöhnt wurde, lag das an seinem jüngeren Alter. Das war in den 1990ern. Meine Mutter hatte für mein Leben klargemacht, dass uns niemand die Unabhängigkeit nehmen konnte, so zu leben, wie wir es wollten. Wehe dem, der mir etwas anderes einzureden versuchte! Mein ganzes Leben lang habe ich nur das getan, was ich wollte. Ich habe das Gefühl, dass ich immer schon gegen das Patriarchat gekämpft habe. Ich habe konsequent Nein gesagt und alles akzeptiert, was mich das gekostet hat, weil ich im Gegenzug meine Selbstbestimmung behalten habe. Teile diesen Artikel