Interview: Sabine Rohlf

Dein Stück ist eine Überschreibung eines s der prominentesten Stücke der Theatergeschichte. Warum gerade dieser Shakespeare-Schurke?
Das war eine Idee von Regisseurin Pınar Karabulut, mit der ich in Berlin schon zusammengearbeitet hatte. Sie wünschte sich eine Zeitgenössisierung mit einer Umkehr der Titelfigur. Auch, weil Richard III. im Theaterkontext so die Lars- Eidinger-Superrolle für den virilen Charakterdarsteller ist. Deswegen hatten wir umso mehr Bock auf die Umkehrung zum weiblich markierten Körper und die Frage, wie das den Text affizieren würde.

War es schwer?
Ach, es ist bereichernd, auf der Shakespeare’schen Sprache rumzuschrammen, sie auch kaputtzumachen oder zu emulieren, aber mit gegenläufigem Inhalt. Das bietet Steilvorlagen für sprachkritische Kaskaden. Die Frage, die mich am meisten umtrieb: Wie

gehen Darstellung und Text mit der Ambivalenz um? Wo kommt uns eine offen Gewalt befürwortende und ausführende, weiblich gelesene Person plausibel, gar realistisch vor und wo nicht? Stößt mensch damit in den lichten Raum ungeahnter Möglichkeiten vor? Also: Darstellung weiblicher Gewaltausübung nicht nur als Racheakt? Wo bin ich total d’accord, dass so eine gewaltausübende Figur weiblich markiert ist, wo merke ich, dass ich sie für unwahrscheinlich halte? Das ist so das eine, Bilder weiblicher Gewaltausübung – und vielleicht stellt die „Andersartigkeit“, unter der Richards Wesen schon bei Shakespeare steht, ohnehin ein bisschen Neutralität im Geschlecht her.

Wie wird verhindert, dass die Figur in der Umkehr hin zur Frau irgendwie stecken bleibt, also die Ambivalenz verliert?
Z. B., indem Richard im großen Eröffnungsmonolog deutlich macht: „Ich hab’ hier was vorbereitet und ich beobachte jetzt.“ Diese Spielanordnung, dieses Sozialexperiment wird in dieser Rahmung explizit markiert, sie weiß haargenau, was sie tut, sie hat das Wesen von Machtspiel von Kindesbeinen an studiert.

Missy Magazine 03/22, Rolle Vorwärts, Viriler Superschurke
© Tommy Hetzel

Ist dein Stück ein Experiment, das untersucht, wie sehr Macht und Gewalt an eine männlich markierte Position gebunden sind?
Ja, durchaus. Ist sie anders zum Scheitern verurteilt, weil sie eben eine eloquente, gewaltbereite Frau ist? Aber eigentlich würde ich mit meiner Richard eher die These in den Raum stellen, dass es letztendlich keine Rolle spielt: dass es in einem patriarchal bleibenden System wurscht ist, ob ein Mann oder eine Frau durch Ränkespiele und über Leichen Status ergattert. Und dann gibt es diese geschädigten weiblichen Figuren, Witwen usw., die mit Flüchen und Zauberei ja eine Art altertümlichen Rufmord begehen an Richard. Also auch: das Scheitern ihrer Machterhaltung, weil eben Frauenclans nicht tradierte Solidarisierungs- und Machtsicherungsapparate sind.

Du kreierst neue Wörter: eini, Könix, Königni, keinER, Quacksalbernnnnie, Deserteureinnn und viele andere. Es wird mit Buchstaben jongliert, aber keine systematische Gendergrammatik etabliert.
Nö, ich glaube, das ist mehr meine Lust daran, Texte aus dem „Kanon“ in einer Selbstverständlichkeit gegendert zu hören, es darf nicht Papier bleiben. Dass diese genderuneindeutige Sprache in einer totalen Selbstverständlichkeit stattfindet und wir einen quasi utopischen Raum schaffen, in dem diese Sprachlichkeit einfach schon Normalität geworden ist.

Deine Richard III. ist eine Arbeit am männlich dominierten Kanon. Diese Arbeit machst du auch mit anderen zusammen.
Genau, ich mache das brennend gerne alleine, aber auch im Verbund. Mit Daniela Janjic, Gerhild Steinbuch und Ivna Žic habe ich das Institut für chauvinistische Weiterbildung gegründet. Da sind wir konkret an der Umkehrung von Geschlechtern in bestehenden Texten dran, persiflieren mediale Sprache, machen Ahninnengalerien, die für uns korrekt sind. Unsere Mission ist es, den Kanon als Machtinstrument auszustellen und proaktiv gegen Sexismus im Theaterbetrieb vorzugehen.

Richard III.“ handelt von Krieg, Machtgier, Gewalt. Am Anfang deines Stücks spielst du mit Motiven der „Sonderzüge“ und „blauen Augen“ auf den Krieg in der Ukraine an.
Das ging für mich schlicht nicht anders, als diese sogenannte Gegenwart einzubauen. Mitunter auch, da mensch bei dieser schurkischen Figur aktuell sowieso den Filter auf Putin stellt. Und ich musste Ánna-Achmátowa-Zitate im Text verstecken, sie hatte Schreibverbot unter Stalin und hat trotzdem ein beeindruckendes Werk hinterlassen. Natürlich weiß niemensch, wie sich der Krieg entwickelt. Aber ich konnte, ich wollte das noch umarbeiten.

Katja Brunner gilt als erfolgreichste Dramatikerin der Schweiz. Sie schreibt, performt, veröffentlicht (z. B. „Geister sind auch nur Menschen“) und lehrt u. a. am Bieler Literaturinstitut. Ihre Stücke über sexistische und andere Gewaltverhältnisse haben Wucht und Poesie, sind angriffslustig und witzig, „herausfordernde Kampfpartnerinnen“, wie ihre österreichische Kollegin Gerhild Steinbuch sagt.

 Dieser Text erschien zuerst in Missy 03/22.