Mit lesbischen Grüßen von Felicia Ewert

Legen wir los.

In Deutschland wird über vieles debattiert: Wetter, Mobilität, Energiegewinnung, Menschenleben, Ernährung. Das Übliche also.

Sobald es um Menschenleben geht, wird die Lage oftmals heikel. Sagen Leute in Machtpositionen. Wenn es um er- und überlebte Diskriminierungsmechanismen geht, ist das Letzte, was Betroffene brauchen, einen Thomas und eine Steffi, die unsere Leben zur Debatte stellen wollen. Oftmals gerne auch mit Verweis auf eine „offene Debattenkultur, in der doch alles diskutiert werden können muss“.

Felicia Ewert

Felicia Ewert ist Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Geschlechterforschung, (Co-)Autorin der Bücher „Trans. Frau. Sein. - Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung und „Feminism is for everyone - Argumente für eine gleichberechtigte Gesellschaft“. Sie ist Podcasterin („Unter anderen Umständen“) und gerne wieder auf Vorträgen als Reiselesbe und politische Referentin unterwegs. They spricht zu den Themen Transfeindlichkeit, Transmisogynie, Homofeindlichkeit und Sexismus.

Überraschenderweise sind es dieselben Leute, die sehr erzürnt reagieren, wenn plötzlich einmal ausnahmsweise und völlig ohne gesellschaftliche Konsequenzen die eigene Lebensrealität und Existenz „zur Debatte“ gestellt wird. Leute als weiß, cis, hetero, nicht behindert zu bezeichnen sei ja doch arg persönlich, angreifend und gar verallgemeinernd. Potzblitz, so fühlt sich das also an? Ich hatte keine Ahnung. Und hierbei, wie gesagt, kommt kein weiterer Nachteil zum Tragen. Menschen werden als das bezeichnet, was sie sind. Eine Beschreibung.

Online Kolumne, Felicia Ewert, Debattenkultur? Gewaltkultur!
© Xueh Margrini Troll

Umgekehrte Diskriminierung? Oh Boy, ich hab dich cis genannt. Dadurch hab ich weder die institutionelle Macht erhalten, um über dein Geschlecht bestimmen zu können, noch hab ich das Patriarchat gestürzt. Keine Sorge, an Letzterem bin ich dran. Also chill mal kurz, ist übrigens auch nix Schlimmes daran, cis zu sein. Und das stimmt auf so vielen Ebenen.

In unserer Dominanzgesellschaft wachsen viele Menschen in dem Bewusstsein auf, „der Normalzustand“, also der Standard zu sein. Alles, was sie nicht verkörpern, im wahrsten Sinne, gilt als Ausnahme, als Abweichung, manchmal auch als Fehler, als etwas, das repariert oder gar „geheilt“ werden müsse.

Und exakt das kommt dabei heraus, wenn „über“ Menschen gesprochen wird. Wenn aus den tatsächlichen Themen Transfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit, Heterosexismus eine Umformulierung hin zum „Thema Transgender“ betrieben wird. Cis Personen rücken den Fokus weg von unseren Betroffenheiten, unserer erlebten Gewalt, hin zu einer negativen Thematisierung unserer Existenzen. Sie machen uns zum Problem. Was hierbei passiert, ist nichts Geringeres, als unsere Leben zu etwas Debattierbarem zu machen. Und dieses Phänomen ist keineswegs auf Transfeindlichkeit beschränkt, sondern zeigt sich überall.

„Die sind aber auch so laut“, oh jee. Gebt das Mikrofon ab, dann müssen wir nicht schreien, aber wir werden es sicherlich trotzdem tun.
„Die sind aber auch mittlerweile so viele“, ach, du meine Güte. Und das von Leuten, die uns eben noch als irrelevant bezeichneten, weil wir doch „grade einmal 0,000001 Prozent der Bevölkerung ausmachen“ würden. (Anmerkung: Zahl variiert je nach behauptender Person.)
„Die sind aber auch so aggressiv“, sagen Leute, die zwei Geschlechterkategorien erfanden und Gewalt gegen alle ausüben, die diese Einteilung kritisieren, die daraus hervorbrechen wollen. Und, ja, das sagen Leute, die das sogenannte Transsexuellengesetz erfanden und verteidigen. So ein Comedyprogramm könnte ich gar nicht schreiben.

Schauen wir mal in die USA und betrachten dort das Schicksal der mittlerweile fast vollständig gecancelten und schwer diskriminierten cis Mehrheit. Oh Verzeihung, das war Sarkasmus.

Die USA sind ein westliches Land mit einer schnell wachsenden Zahl von verabschiedeten queerfeindlichen, sexistischen, frauenfeindlichen Gesetzen. Immer häufiger ist die Rede vom „transgender sports ban“, was in der Praxis bedeutet, dass bspw. transgeschlechtliche Mädchen oder Jugendliche von sportlichen Aktivitäten in Teams und von Schulsport zur Gänze ausgeschlossen werden. Oder sie werden dazu gezwungen, in einem Jungsteam teilzunehmen. Dies gipfelt in einer Begebenheit im US-Bundesstaat Kentucky. Die zwölfjährige Fischer Wells gründete ein Mädchen-Hockeyteam und wurde im Anschluss aufgrund der Gesetzeslage aus selbigem Team geworfen. Über die grundsätzliche geschlechtliche Aufteilung sollten wir an anderer Stelle mal diskutieren. Doch das ist nicht alles. Verbote von medizinischen Maßnahmen im Bereich von geschlechtlichen Transitionen bei Minderjährigen z. B. in Arkansas. Diese Gesetze umfassen aber auch explizite Verbote von (medizinisch-psychologischer) Unterstützung, ebenso alles, was als Anerkennung und positive Einstellung gegenüber Transgeschlechtlichkeit bei Minderjährigen gewertet werden kann, kann unter Strafe gestellt werden. Siehe hierzu die Gesetzeslage im Bundesstaat Texas, in dem jeglicher positiver Bezug auf trans Jugendliche als „Kindesmisshandlung“ eingestuft werden kann. Ebenso werden Mediziner*innen, Krankenpflegepersonal und auch ausdrücklich Lehrer*innen dazu aufgefordert, Eltern von „potenziellen“ transgeschlechtlichen Jugendlichen behördlich zu melden. Ist das die Zukunft, in der wir leben wollen?

Natürlich sind die USA „weit weg“ und über die politischen Entscheidungen dort „weiß man ja eh Bescheid“. Sätze, die wir allzu gerne mit einem Lächeln und wegwerfender Geste von uns geben und die Entwicklungen in Deutschland ignorieren.

Ja, wir haben keinen „sports ban“. Noch nicht.
Ja, wir haben keine offizielle Aufforderung, die Eltern transgeschlechtlicher Kinder beim Jugendamt zu melden. Noch nicht.
Und, ja, Pubertätsblocker und psychologische Unterstützung sind in Deutschland möglich. Noch.

Wird über all das von außen über uns debattiert? Auf jeden Fall. Transfeindliche Einzelpersonen, misogyne feministische Organisationen und deren parlamentarischer Arm machen sich dafür stark, gleiche Gesetze wie in den USA auch hier Realität werden zu lassen. Dass die rechten Politiker*innen gleichzeitig auch noch das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche mit streichen und ebenso alles, was nicht cis und heterosexuell ist, „verbieten“ wollen, muss ich an dieser Stelle nicht erwähnen. Aber weil Folgendes in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche immer wieder erklärt werden muss: Klopf klopf, transgeschlechtliche Menschen, nicht-binäre Personen waren schwanger, sind schwanger und werden schwanger sein. Verbote von Schwangerschaftsabbrüchen treffen uns mit voller Härte. Und Überraschung: Wir sind lesbisch, bi, schwul, pan, allosexuell, asexuell.

Und weil in der deutschen Medienlandschaft gerne die „Aber ich kenne eine trans Person, die diese diskriminierenden Begriffe okay findet“-Karte gezogen wird: Ja, auch trans Personen haben Transfeindlichkeit verinnerlicht und auch wir können all die bestehenden Normen an Körper, Geschlecht und Verhaltensweisen an andere trans Personen weitergeben und einfordern. Cis Personen, ihr könnt euch also nicht einfach selbst freisprechen.

Was privilegierte Menschen in diesen Situationen gerne als „sachliche Debatte“ bezeichnen, ist nichts Geringeres als die verbale Rechtfertigung und Festigung von Gewalt. Unsere Leben sind kein „spannendes Thema“, unsere Leben sind keine Debatte und wir werden es nicht hinnehmen, unsere Existenzen argumentieren und rechtfertigen zu müssen.

Mit lesbischen Grüßen und welcome to the gun show!

Das war also mein Kolumnenauftakt.
Damit müsst ihr nun häufiger rechnen.