Eine Illustration vor einer geschlossenen Berliner U-bahn Tür. In der Bildmitte stehen links und rechts zwei stehende Personen, die die Person in der Mitte im Rollstuhl nicht bemerken. Unterhalb der Illustration steht in einer Sprechblase "Wenn ich ein Koffer wäre, würde es mich sicherlich nicht stören, wenn du mich trittst. Bin ich aber nicht!"
Unsere rollstuhlfahrende Kolumnistin muss mal wieder einiges zu öffentlichem Nahverkehr erklären. © Rahel Süßkind

Loud’n Jewcy von Debora Antmann

Wenn ich ein Koffer wäre, würde es mich sicherlich nicht stören, wenn du gegen mich fährst, trittst, läufst oder schlägst und dich nicht entschuldigst. Bin ich aber nicht. Wenn ich ein Koffer wäre, wäre es mir sicherlich egal, wo ich stünde, wie viele Hintern an mir entlangstreifen und  Rucksäcke gegen mich poltern. Bin ich aber nicht. Wenn ich ein Koffer wäre, wäre es vielleicht hinnehmbar, dass du dich darüber ärgerst, wie viel Stellfläche ich vermeintlich einnehme. Bin ich aber nicht. Stattdessen bin ich eine Rollstuhlfahrerin, die das Gefühl hat, mal wieder ein paar sehr grundsätzliche Dinge zum öffentlichen Nahverkehr erklären zu müssen. Und ich mache das am Beispiel Berlin, weil ich mich dort am besten auskenne.

Aber beginnen wir mit etwas Städteunspezifischem: Da sitzt ein Mensch im Rollstuhl.

Dass da ein Mensch im Rollstuhl sitzt, hat zur Folge, dass dieser Mensch, in diesem Beispiel ich, doch zumindest das Basisrepertoire an Anstand verdient hat. Wenn du also, ich bin mir sicher, versehentlich gegen meinen Rollstuhl rennst, trittst, stößt, haust, dein Fahrrad oder Kinderwagen dagegenknallst, geh halt nicht einfach davon aus, dass es der Krüppel im Rollstuhl nicht merkt (ich merke es und es ist sehr unangenehm), sondern entschuldige dich. Es macht mich inzwischen so aggressiv, zu sehen, wie Leute sich sofort entschuldigen, wenn sie ein Fahrrad in der Bahn oder einen Kinderwagen im Aufzug anrempeln, aber sich ungelogen NOCH NIE jemand die 378 Mal bei mir entschuldigt hat, die mir gegen die Räder oder Beine getreten, im Aufzug hinten reingefahren oder Taschen und Rucksäcke in meinen Rollstuhl geknallt wurden. Die einzigen Entschuldigungen, die ich bekomme, sind jene, wenn es mal mein Gesicht trifft. Ich sage es, wie es ist: Es stört das Fahrrad und wahrscheinlich auch das Baby im Kinderwagen weniger, wenn du drüberstolperst oder dagegenfährst, als eine Person im Rollstuhl, durch deren GESAMTEN Körper das geht. Ich habe neulich erlebt, wie eine Person in der Bahn mit voller Wucht erst das Fahrrad gegen meine Beinstützen gerummst hat (keine Reaktion) und zwei Minuten später gegen einen Koffer und sich dann bei der Person mit dem Koffer entschuldigt hat. Ich kann nicht anders, als die Menschheit dafür zu hassen. Und weil du jetzt sicher denkst, „ich würde das NIE machen“: In der Häufigkeit, in der das passiert, ist es statistisch unmöglich, dass dem so ist. Statt also zu denken, dass du nicht gemeint sein kannst, entschuldige dich halt einfach beim nächsten Mal.

Nun etwas Berlin spezifischer, das sich aber auch auf alle anderen deutschen Städte, in denen ich bisher war, anwenden lässt: Wenn ein Platz für uns ist, ist er auch für uns, wenn es dir gerade nicht passt. Nehmen wir als Beispiel die Berliner Busse. Diese haben ein, manchmal sogar zwei Rollstuhlplätze. Markiert sind diese mit zwei blauen runden Aufklebern. Der erste runde Aufkleber ist das bekannte weiße Rollstuhl-Piktogramm auf blauem Grund. Der zweite runde Aufkleber ist sogar noch klarer. Darauf steht nämlich explizit: „Dieser Platz ist für Rollstuhlfahrer reserviert.“ Jetzt ist es aber 40 Prozent der Zeit folgendermaßen: Eine rollstuhlfahrende Person, in dem Beispiel ich, steht an der Haltestelle, Bus kommt, Bus ist voll (mit Menschen ohne Rollstuhl), Bus nimmt mich nicht mit. Wenn ich anfange zu diskutieren, werden alle sehr sauer und fragen: Ja, was soll man denn machen, erwarten Sie jetzt, dass wir aussteigen?! Und die Wahrheit ist: JA! Denn dass du dich bis dahin auf dem Platz für Rollstuhlfahrer*innen quetschen konntest, ist reine Kulanz. Das bedeutet lediglich, der Bus war vorher schon zu voll! Wenn du in ein Restaurant gehst und da steht ein „Reserviert“-Schild auf einem Tisch und du setzt dich da trotzdem hin und wirst dann darauf hingewiesen, dass du jetzt leider gehen musst, weil die Personen, die den Tisch reserviert haben, angekommen sind, verlangst du dann auch, dass die Personen, für die der Tisch reserviert ist, gefälligst in ein anderes Restaurant gehen sollen, weil du da jetzt sitzt?! Nein, weil der Platz von Beginn an nicht für dich gedacht war und du dort gegebenenfalls so lange sitzen durftest, bis die Personen, für die der Tisch reserviert wurde, eingetroffen sind. Wenn du nicht bereit bist auszusteigen, wenn Menschen mit Rollstuhl die für sie reservierten Plätze in Anspruch nehmen MÜSSEN, dann solltest du eben gar nicht erst den Bus betreten, wenn du siehst, dass der Bus so voll ist, dass der Platz für Rollstuhlnutzer*innen besetzt werden müsste, sobald du dazusteigst. Da aber weiterhin alle so Öffis fahren wollen, als würden Menschen im Rollstuhl nur alle zehn Jahre mal wie ein Wunder in einem Bus auftauchen, musst du dann halt zumindest bereit sein, diesen Platz, der nicht für dich ist, frei zu machen. Und jetzt fragst du dich sicherlich, „warum sollte ich warten und du nicht“: weil es nur EINEN, maximal ZWEI Plätze pro Bus für uns gibt und sobald ein*e Rollstuhlfahrer*in bereits im Bus ist, wir OHNEHIN auf den nächsten Bus warten müssen, während sich Fußgänger*innen überall reinquetschen können. Wir warten 50 Mal so oft wie du darauf, in Öffis mitgenommen zu werden, dann kannst du wenigstens so viel Anstand haben, uns den einen oder die beiden Plätze zu lassen, DIE FÜR UNS RESERVIERT sind.

Debora Antmann

1989 in Berlin geboren und die meiste Zeit dort aufgewachsen. Als weiße, lesbische, jüdische, analytische Queer_Feministin, Autorin und Körperkünstlerin, schreibt sie auf ihrem Blog „Don’t degrade Debs, Darling!“ seit einigen Jahren zu Identitätspolitiken, vor allem zu jüdischer Identität, intersektionalem Feminismus, Heteronormativität/ Heterosexismus und Körpernormen. Jenseits des Blogs publiziert sie zu lesbisch-jüdischer Widerstandsgeschichte in der BRD, philosophiert privat über Magneto (XMen) als jüdische Widerstandsfigur und sammelt High Heels für ihr Superheld_innen-Dasein.
Wir wechseln das Verkehrmittel, da es eine Herausforderung zu sein scheint, die Öffis nicht wie ein ignorantes ableistisches Arschloch zu nutzen. Und gerade in S- und U-Bahn scheint der nächste Fakt eine wahre Überraschung zu sein: Meine Aufgabe ist nicht, alle einsteigenden Ärsche zu begrüßen. In Berlin gibt es die Annahme, der Platz von Rollstuhlfahrer*innen sei in der S- und U-Bahn per se im Türbereich. Und während das einige Rollstuhlfahrer*innen auch bevorzugen, verrate ich euch jetzt zwei Dinge: 1. Wenn wir im Türbereich stehen möchten, dann in der Regel nicht vorne, wo wir den Arsch VON JEDER EINZELNEN PERSON, die die Bahn betritt ins Gesicht bekommen, sondern in der Ecke, in der du dich anlehnst und dich steinern nicht wegbewegst. Da du dich aber auch an jeden anderen Rand stellen kannst, wir aber nur in den hinteren Ecken des Türbereichs (wir reden von einer nicht überfüllten Bahn) halbwegs arsch-sicher sind und nicht alle Leute beim Einsteigen in uns reinrennen, bewege dich doch einfach weg. Danke. 2. Die Klappsitze sind deswegen Klappsitze, weil DA eigentlich unsere Plätze sind. In den alten U-Bahnen vorne, in den neuen A-Zügen der U-Bahn in der dritten Tür, in der S-Bahn ebenfalls je nach Modell erste oder dritte Tür. Das bedeutet, wenn jemand mit Rollstuhl einsteigt, ist das nicht mehr dein Platz. Die Sticker mit den lustigen Piktogrammen verraten dir, dass ich recht habe. S- und U-Bahn sind sogar so weit, dass sie zwischen Plätzen für Menschen mit Behinderung (die mit dem Kreuz sind nicht klappbar) und Plätzen für Rollstuhlfahrer*innen unterscheiden. Das bedeutet, es gibt TATSÄCHLICH KEINEN Grund, die paar Plätze, auf denen wir gut parken können, zu blockieren. Und es sollte dein Reflex sein, entweder einfach aufzustehen oder uns wenigstens direkt anzubieten, diese frei zu machen, oder zumindest aufzuhören, mit uns zu diskutieren oder uns zu ignorieren, wenn wir auf einen der Handvoll Plätze möchten, die uns zur Verfügung stehen, während es für dich und alle anderen Hunderte pro Bahn gibt. Ähnlich verhält es sich übrigens mit Türen. Ich werde nicht müde, es zu wiederholen: Die meisten von uns Rollstuhlfahrer*innen müssen entweder die erste oder die dritte Türe nutzen. Das bedeutet, für dich würden bspw. in der Ringbahn 16 weitere Türen übrig bleiben, wenn du solidarischerweise – und ganz besonders nicht mit Fahrrad und Gepäck – nicht die erste und dritte Tür benutzen würdest. Für Sehende ist es übrigens auch nicht zu übersehen. Die meisten Bahnen haben inzwischen riesige Piktogramme an genau diesen Türen. Es ist dir nur egal, weil du immer noch glaubst, Krüppel gehören nicht in die Öffis oder wären dort eine seltene Begebenheit. Aber das glaubst du nur, weil du uns scheinbar nicht von einem Koffer unterscheiden kannst. Anders lässt sich nicht erklären, wie es möglich ist, dass du glaubt, es sei egal, wenn du uns anrempelst, dass du meinst, du könntest uns auf dem Gang abstellen oder auf der Straße stehen lassen. Und wenn ich ein Koffer wäre, wäre das sicherlich auch hinnehmbar und dann würde es dich nicht zu einem ableistischen Arschloch machen. Bin ich aber nicht.