Von Juliane Streich
Fotos: Sophia Emmerich

Sir Mantis erscheint mehr als pünktlich zum Interviewtermin – und das ist insofern bemerkenswert, weil er eine Hymne aufs Zuspätkommen geschrieben hat. „Wir sind die Zuspätkommergang, doch das fällt nicht auf, weil wir nur mit Zuspätkommern häng’n“, rappt er in „ZSKG“, einem der Songs auf seinem neuen Album „180 Grad“. Wobei „neu“ so eine Sache ist, denn die Tracks hat er vor drei, vier Jahren geschrieben und aufgenommen. Das Album war damals quasi fertig. Aber weil Sir Mantis anfing, Testosteron zu nehmen, und in den Stimmenbruch kam, hat der Leipziger Rapper das Album noch mal aufgenommen. Im August wird es endlich erscheinen. Haben sich in den drei Jahren die Themen nicht verändert, würde er die Songs heute nicht anders schreiben? „Die meisten sind sogar noch aktueller als damals“, sagt er, während er gut gelaunt in einem grünen Hinterhof im Leipziger Osten eine Tasse Cappuccino trinkt. „Z. B. die Zeile ‚Hat denn niemand Rückgrat so wie Christian Lindner‘.“ Und auch wenn er manch eine Punchline heute weniger plakativ formulieren würde, weil er die Erfahrungen gemacht hat, dass

plakative Texte immer an den plakativsten Stellen zitiert werden, und er da jetzt vorsichtig ist, freut er sich nun schon so lange auf dieses Album, dass er die Lieder so gelassen hat, wie er sie damals geschrieben hat.

Missy Magazine 04/22, Titelstory, Sir Mantis
© Sophia Emmerich

Es sind Lieder gegen Spießertum und Konservatismus, gegen sexistische cis Männer im Rap-Business, gegen neoliberale Ideologie und privilegierte Oberschichten: „Du hast Geld, du hast Status und geschulte Manieren / Ich hab’ sogar zu wenig, um ein’ Kredit zu beziehen / Du hast alle Privilegien, alles erreicht / Ich dreh’ jeden Cent um, komm’ im Leben nicht weit / Aber nein, du bist nichts Besseres / Du lebst nur im Gegenteil“, rappt Sir Mantis bspw. in „Roboclean“. Wie in vielen seiner Texte s…