Von Nadire Biskin

Ich möchte einen Text über gutes Benehmen aka Fakeness schreiben. Ich notiere mir auf einem Schmierzettel, pardon Konzeptpapier: Höflichkeit kommt von Hof, „gehört sich (nicht)“ von (Nicht-)Zugehörigkeit. Ein klassischer etymologischer Einstieg. Schnell ist klar: Die Vorstellung vom guten Benehmen ist vielleicht doch nicht so universell, wie man bislang dachte. Vielleicht haben die altbekannten weißen, cis Akademiker wieder mal gedacht, was sie für richtig halten, sollte für alle gelten. Ich recherchiere auf Social Media. Ich frage: Was findest du unhöflich? Und weswegen wurde dir Unhöflichkeit vorgeworfen? Und siehe da, was wird am häufigsten genannt? „Jemandem ins Wort fallen“;

„Unterbrechen“. Wie tollpatschig und gewaltvoll das ist, verdeutlichen die Verben, die hier zum Einsatz kommen, bereits. Das, was mir so oft vorgeworfen wurde. Weswegen ich viele Gelegenheiten hatte, in schlaflosen Nächten über mein schlechtes Benehmen nachzudenken.

© Amy Lombard

Selbstverständlich kann man nicht von der Hand weisen, dass solch ein Verhalten nicht wünschenswert, sogar unmöglich ist. Ich stelle mir all jene vor, die sich am Ende eines Vortrags oder einer Lesung melden, um ihre Meinung kundzutun und großzügig und geduldig ihr prophetisches Wissen mit allen zu teilen. Ich stelle mir jene vor, die gar nicht an einem Gespräch, das zu einer Erkenntnis oder zumindest zu neuen Fragen führen soll, interessiert sind. Handlung und Person kann man…