Hypertext von Zain Salam Assaad

 „Hypertext” ist das Produkt aller möglichen Memes und Sad Songs des letzten Jahrhunderts. In dieser Kolumne beschreibt Zain Salam Assaad mal satirisch, mal ganz ernst, wie sich Exil, Popkultur und Weltgeschehen zwischen dem Mainstream und am Rand der Gesellschaft bewegen – zwischen Pass und Smash. Dazu teilt Zain Memes oder eigene Mood-Playlists.

Für das ultimative Leseerlebnis empfehlen wir dir, währenddessen in die Protest-Playlist von Zain reinzuhören.

„Suche dir Jobs, die zu deinem Akzent passen“, sagte mir ein Sprechtrainer vor ein paar Jahren, als ich eine Sommerschule beim Uniradio besucht habe. Anderthalb Jahre habe ich einmal gewartet, bis ich Zugangsdaten für die Webseite auf der Arbeit bekommen habe. Das war kurz bevor ich gekündigt habe. Mein*e Vorgesetzte*r dachte, dass ich bestimmt etwas anstellen und falsch aufgebaute Sätze unkontrolliert reinhauen würde. Alle anderen Mitarbeitenden hatten den Zugang jedoch schon lange erhalten. Schön und ungestört saß ich am Praktikumsplatz und habe keine einzige Aufgabe und nichts von den Arbeitsabläufen erklärt bekommen, obwohl ich mehrjährige Arbeitserfahrung mitbrachte. Währenddessen habe ich zugesehen, wie andere Praktikant*innen eingearbeitet wurden.

Zain Salam Assaad

Zain Salam Assaad studierte Kommunikations- und Medienwissenschaft in Leipzig. Heute arbeitet Assaad als frei*e Journalist*in und Übersetzer*in, insbesondere für die Themen LSBTIQ*-Rechte, Migration und digitale Trends, wobei dey immer Dinge in einen Kontext setzt. In der Freizeit beschwert dey sich gerne über das Wetter in Deutschland, toxische Netzkulturen und empathiefreie Debatten.

Ich nenne mich selbst mittlerweile das Diversity-Bingo des Arbeitsmarkts. Wer mich zieht, hat einfach BINGO! Man darf sich allerdings nicht beschweren. Sonst ist man Anti-Diversity und bekommt nie Jobs. Oder wie ein deutscher Chef mir mal sagte: „Sonst endet man wie die anderen mit ausländischen Akzenten in einem Dönerladen. Wer Medien machen will, soll mitspielen.“ „Halt’s Maul“, hätte ich so gerne geantwortet.

© Xue Magrini Troll

Mensch, sei einfach dankbar!

Ich möchte es nicht schönreden. Viele Aufgaben, die für eine Karriere in den Medien relevant sind, dürfte ich in den meisten Fällen nicht machen. Das einzig Gute an meinen bereits gesammelten Arbeitserfahrungen waren meistens meine Outfits, die ich bis vor Kurzem in „Zu verschenken“-Boxen in Leipzig gefunden habe. Noch gibt es die ganzen Aufgaben, die deutsch sozialisierte Praktikant*innen und Arbeitnehmer*innen nie übernehmen würden: unter- oder unbezahlte aufwendige Übersetzungen, organisatorischer Kram und Dinge, die ich mir aus dem ganzen Chaos basteln könnte. Natürlich muss man zusätzlich als Geflüchtete*r aus Syrien dankbare und gleichzeitige politisch korrekte Queen sein, eine Lösung für mehr Diversität in den Medien anbieten und den Schlüssel für den „Nahostkonflikt“ von zu Hause mitgebracht haben. Sonst sind alle links, rechts und inbetween getriggert, weil man überhaupt dabei ist.

Ich blicke zurück und sehe in den letzten sechs Jahren, die ich in Deutschland verbracht habe, zehn verschiedene angefangene Karrieren, Burn-outs und die Angst, die Miete nicht bezahlen zu können. So schwer sind die Lebensumstände und man fühlt sich mit Benachteiligungen am Arbeitsplatz die ganze Zeit einsam. Wir sind aber nicht allein! Wir werden nur davon abgehalten, uns zu organisieren. Warum lassen wir uns als Arbeitnehmer*innen gegeneinander ausspielen? Ich wünsche mir keine 5K-Gehälter. Ich will meine Miete bezahlen können und von anderen Kolleg*innen lernen und mit ihnen mein Wissen teilen. Der Individualismus lässt dennoch keinen Raum für Austausch. Medienhäuser funktionieren wie Familienbetriebe für Reiche. Arbeitnehmer*innen sind so gut wie Feind*innen. Migrant*innen werden in zugeschnittenen Rollen dazu geholt, um sich gegenseitig fertigzumachen. Und man kommt nie so nah dran, den deutschen Traum zu erreichen: Krankenversicherung, 24/7 Strom und Wasser, verspätete Bahnen und eine Erfolgsgeschichte, die in Kinos irgendwann läuft.

ReAliTäTsCheCk

Dass mehrfachmarginalisierte Menschen nur durch vom Markt und Profit festgesetzte Identitätsdynamiken aufsteigen dürfen, ist eine Gegebenheit im aktuellen Wirtschaftssystem, welches sich historisch und bisher auf die reine Hierarchisierung von Menschen stützt. Stichwort: weiße Vorherrschaft. Diese Dynamiken filtern aus den verschiedenen diasporischen und rassifizierten Gemeinschaften die Menschen raus, deren Arbeit sich mit den Marktzielen vereinbaren lässt, und tokenisiert deren Identitäten, um Scheindiversitäten zu schaffen. Die Antwort auf die Frage „Wer hat was verdient?“ bleibt so fremdbestimmt. Das beschreibt die Leere, in der wir leben. Talente, Kompetenzen und Wünsche vieler Menschen werden zur Hürde und die gesamte Arbeitskultur wird zu einem Versuch, die beschädigten Stellen mit konsumorientierter Politik, irgendwelchen Flaggen und unfairem Personenkult zu vertuschen. Die Ungleichheit bleibt – bis auf minimale Verschiebungen der Realität – bestehen. Manche Jobs werden weiter unterbezahlt, abgewertet und von bestimmten Menschen ausgeübt.

Der Anstieg in die „besser angesehene“ Arbeitswelt und vor allem in den Medien liefert ein klares Bild für die Ungleichheit, die unser Leben definiert: Was gilt als Arbeit? Was wird entlohnt? Wer muss hustlen? Eine kurze Reflexion würde zu konkreten Antworten auf die unzähligen Fragen der Benachteiligung in deren Komplexität führen. Wir brauchen viele Realitätschecks, um die Realität im Plural zu verstehen und Akzente dieser Realität einordnen zu können. Dieses Verständnis überschreitet die Handlungsgrenzen von Marketing- und Arbeitsansätzen, die mit Buzzwörtern wie „bunt“ oder „Diversität“ arbeiten. Das benötigt Akzeptanz für unsere Pluralität und dafür, dass die Lebensrealitäten vieler Menschen nicht nur auf Floskeln und Theorien zu reduzieren sind. Denn Lösungsansätze sollen im Wandel bleiben, wenn wir einen Wandel anstreben. Wir brauchen weniger Scheindiversitäten und den echten Willen, miteinander zu leben. In den Medien würde es auch heißen, dass wir mehr Raum für alle schaffen sollen, anstatt die drei bekannten Namen erst mal zu vergöttern, dann zu canceln und mit neuen temporären Gesichtern zu ersetzen. Das Narrativ von „denen, die es geschafft haben“, soll nicht die Regel für alle sein.